Reportage: Fußmarsch auf den Betzenberg

„Noch nie im Leben so etwas anstrengendes erlebt“

„Noch nie im Leben so etwas anstrengendes erlebt“


Das letzte Zweitligaspiel des 1. FC Kaiserslautern, zuhause gegen den FC Augsburg, war ein ganz besonderes für Dieter Thomas (62) und Florian Anderle (28) aus Neumagen-Dhron. Am 26. September 2007, der FCK hatte vor nur noch 17.000 Zuschauern mit einer Heimniederlage gegen den SV Wehen-Wiesbaden den Tiefpunkt der Vereinsgeschichte erreicht, beschlossen sie: „Wenn wir irgendwann wieder aufsteigen sollten, dann gehen wir zum letzten Heimspiel zu Fuß nach Lautern.“ Diese Idee hielt sich seither und Anfang Mai 2010 war es schließlich soweit - rund 100 Kilometer von der Mosel in die Pfalz wollten bewandert werden.

Berglicht, Hattgenstein, Kronweiler, Haschbach, Oberstaufenbach, Rodenbach. So hießen nur einige der Orte, die Thomas und Anderle auf ihrer beschwerlichen Reise durchquerten. Donnerstags ging es mit FCK-Schal und -Fahne pünktlich um 9:00 Uhr los, um sonntags rechtzeitig im Fritz-Walter-Stadion stehen zu können. „Der erste Tag war am schlimmsten, es hat acht Stunden durchgehend geregnet“, erzählt Florian Anderle, während Dieter Thomas ergänzt: „Und so gut wie kein Dorf auf unserer ersten Teilstrecke von Dhron nach Schwollen.“ Abends kam rund um den Erbeskopf sogar Schneeregen vom Himmel, aber da hatten die beiden Wanderer bereits ihr Nachtquartier in Hattgenstein bezogen. Thomas: „Gleich nach unserer Ankunft im Dorf begrüßte uns eine ältere Frau mit der Frage, ob wir die seien, die zu Fuß nach Kaiserslautern wandern. Irgendwie hatte sich unser Vorhaben tatsächlich quer über den Hunsrück herumgesprochen, die Frau sagte, sie hätte es vom Brötchenfahrer eines Moselaner Bäckers gehört.“

Bereits seit dem Bundesligastart im Sommer 1963 reist Dieter Thomas regelmäßig nach Kaiserslautern, schon in den 1950er Jahren fuhr er als Kind stets mit dem Fahrrad zu den Auswärtsspielen der Roten Teufel nach Trier. Auch Florian Anderle ist mit dem FCK aufgewachsen, bekam zu seinem sechsten Geburtstag einen Betze-Besuch geschenkt („1:0 durch Bruno Labbadia, aber den Gegner weiß ich nicht mehr“) und kaufte sich in den 1990er Jahren seine erste Dauerkarte. Bei beiden ist der FCK eine Familienangelegenheit, trotz mehr als einer Autostunde Entfernung zu Deutschlands höchstem Fußballberg.

Nach ordentlich Speis und Trank sowie einer geruhsamen Nacht stand dann freitags die zweite Etappe an, welche von Schwollen nach Kusel führen sollte. „Der Regen war zum Glück nicht mehr so stark wie am Tag zuvor und in den Dörfern, die wir durchquerten, gab es endlich mehr zu sehen als nur Bäume und Straßen“, blickt Thomas zurück. Erste Verluste gab es trotzdem zu beklagen: Anderle, der jüngere der beiden Wanderer, musste sich nach Ankunft in Kusel erstmal im Sanitätshaus eine Kniebandage besorgen. „Die Knie haben am meisten geschmerzt, so ein langer Fußmarsch ist schon nicht ohne“, betonen beide einhellig.

Umso größer war die Freude, als der Wirt im aufgesuchten Kuseler Gasthaus sich als FCK-Fan entpuppte. Nach 15 Minuten seien nur noch Betze-Lieder aus der Stereoanlage gekommen, der Gastgeber verschwand kurz und kam im roten Trikot wieder, und schnell fanden sich weitere Fans ein, die bei einigen Bier gespannt den Erzählungen der beiden Moselaner lauschten.

In rund 50 Jahren des Fanseins hat besonders der gelernte Bäcker Dieter Thomas vieles erlebt. Höhepunkte waren sicher die Auswärtsspiele im Europacup, oder auch das legendäre 7:4 gegen Bayern München: „Bei diesem Spiel hatte ich zum ersten Mal meine Frau mit ins Stadion genommen.“ Zu seinem 50. Geburtstag bekam er ein verspätetes Geschenk dafür, als Juliane Thomas ein FCK-Wappen auf ihr gemeinsames Haus pinseln ließ. Doch auch Speditionskaufmann Florian Anderle hat interessante Geschichten zu erzählen, etwa vom entscheidenden Spiel in Köln 1991, wo er als Kind „ohne Karte ins Stadion reingeschleust wurde“ und so die erste Meisterschaft seit 38 Jahren hautnah miterleben konnte.

Samstags, am dritten Tag der Reise, schien dann endlich die Sonne und das Ziel Kaiserslautern rückte mit jedem Schritt näher. Doch auch diese Etappe verlief nicht ohne Komplikationen, wie Dieter Thomas berichtet: „Um Gepäck zu sparen, wollten wir uns eigentlich unterwegs Verpflegung kaufen. Aber obwohl nun viele Ortschaften auf unserem Weg lagen, konnten wir kein einziges Geschäft finden.“ Vor dem Verdursten gerettet wurden die beiden schließlich in Gimsbach, wo ein Einwohner die beiden FCK-Fans zu einer kurzen Rast in seinem Garten einlud. Der Gimsbacher stellte sich als Bekannter des ehemaligen Lautrer Torhüters Sepp Stabel heraus, womit für den nötigen Gesprächsstoff und zahlreiche Anekdoten natürlich schnell gesorgt war.

Überhaupt war es nun, bereits in der Pfalz angekommen, nicht mehr schwer, andere FCK-Fans oder zumindest entsprechend geschmückte Häuser zu finden. Das letzte Nachtlager wurde dann in Reichenbach-Steegen aufgeschlagen, abends die Sportschau geguckt und schon mal vorab ein Bier auf den fast gemeisterten Fußmarsch nach Kaiserslautern getrunken - die Beine immer noch schmerzend, aber das Ziel fest vor Augen.

Das Ziel Wiederaufstieg verloren weder die Fans noch die Verantwortlichen des FCK aus den Augen, trotz vier Jahren Zweitklassigkeit. Doch von Spiel zu Spiel wurde es schwieriger sich zu motivieren gegen Mannschaften wie Paderborn, Ingolstadt oder Wehen, hinzu kamen die nervenden Anstoßzeiten und zwischenzeitlich der fast totale Niedergang des Traditionsvereins. „Aber das ist jetzt egal, die letzte Saison hat für alles entschädigt und wir sind endlich wieder da“, freuen sich die beiden gehtüchtigen Fans.

Am Sonntag, dem Tag des letzten Zweitligaspiels, standen dann die letzten Kilometer auf dem Programm. Und Fritz Walter schickte nochmals ein paar Regentropfen vom Himmel. Der Gastwirt aus Reichenbach-Steegen, selbstverständlich auch FCK-Fan und längst begeistert von der Tour der beiden Moselaner, wollte den Wanderern die letzte Etappe ersparen und bot sein Auto für die Reise zum Stadion an. Aber das ging natürlich gar nicht, wie Florian Anderle betont: „Unterwegs habe ich mindestens zehn Mal ans Aufgeben gedacht, auch das Angebot, die letzten 20 Kilometer im Auto mitzufahren, war sehr reizvoll. Aber wir waren ja schließlich nicht zum Spaß hier!“ So gab es kurz vor dem Ziel nochmals den letzten Platzregen - der nasseste Mai seit Jahren war in den Reiseplanungen eigentlich nicht berücksichtigt - ehe endlich das ersehnte Ortsschild „Kaiserslautern - Einsiedlerhof“ in Sichtweite erschien. Kurz darauf mussten die extra angeschafften Walking-Stöcke dran glauben und die letzten Meter wurden mit dem Fritz-Walter-Stadion im Blickfeld absolviert.

Im Stadion wurde dann natürlich gestanden, Westkurve Block 6.1, und die Meisterfeier mit der Mannschaft nach dem 1:1 gegen den FC Augsburg war nicht nur für die beiden Fans aus Neumagen-Dhron ein ganz besonderes Erlebnis. „Ich werde keine so leichtsinnigen Ansagen mehr machen und auch so schnell nicht mehr zu Fuß nach Kaiserslautern gehen“, blickt Florian Anderle dennoch mit Respekt auf die Tour zurück, bevor Dieter Thomas augenzwinkernd ergänzt: „... höchstens zum Champions League Finale!“

Während Thomas („Die Tour war bis aufs Wetter einfach nur gelungen“), der ältere der beiden Wanderer, abends gemeinsam mit Sohn Jens gemütlich im Auto nachhause fuhr, feierte Anderle („Ich habe noch nie in meinem Leben so etwas anstrengendes erlebt“) noch die ganze Nacht den Wiederaufstieg der Roten Teufel. Gemeinsam mit seiner Schwester Susi und Thomas' anderem Sohn Stefan, ohne das Vortäuschen von Müdigkeit, ehe am Montagmorgen der erste Zug zurück an die Mosel fuhr. Als FCK-Fan muss man eben einfach geboren sein!

Was war die verrückteste FCK-Aktion von Dir oder Deinen Freunden? Erzähl es uns im Diskussionsforum von „Der Betze brennt“!

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Thomas

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