Reportage: Auswärtsspiel in Rostock

De-Eskalation ernst genommen

De-Eskalation ernst genommen


Hansa Rostock gegen 1. FC Kaiserslautern - auch von den ansonsten sehr reisefreudigen FCK-Fans tut sich nicht jeder dieses Auswärtsspiel an. Grund genug, noch einmal genauer hinzuschauen: Uns hat ein Gastbericht von JochenG erreicht, der das Spiel vom Sonntag aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachtet.

Jeder der ca. 400 Gästefans am Sonntag in Rostock hatte sicherlich kein unbeschwertes Gefühl, als es dem Ende des Pokalspiels entgegen ging. Immer öfter liefen Anhänger der Roten Teufel im Gästeblock die Stufen hoch und warfen einen Blick nach draußen, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Ist mit Randale zu rechnen? Was machen die Ordner? Was macht die Polizei? Haben sich schon Rostocker in die Nähe des Käfigs gebracht, um die dann dort vermutlich eingesperrten Lautrer mit Pyro und Steinen zu attackieren?

Gerade bei dem Spielstand von 2:1 empfand man zwar eine gewisse Freude, jedoch wollte man sich noch nicht so recht freuen. Irgendwie war da ein klammes Gefühl in der Magengegend. Jeder, mit dem man in Kontakt war, wünschte nicht "viel Erfolg" sondern "kommt heil nach Hause".

Aber von Vorne. Als wir von unserem Hotel in Richtung Stadion liefen und dabei, natürlich neutral gekleidet, die Sprüche auf diversen Brücken lasen, wurde uns ein wenig anders. War es die richtige Entscheidung, hierher zu kommen? Wie wird der weitere Tag verlaufen? Zunächst aber verliefen wir uns. Und kamen ein wenig von der geplanten Route ab. Nicht wesentlich, aber dennoch ein Umweg. Bei Temperaturen um die 34 Grad und recht wenig Schatten nicht einfach. Dann die Eisenbahngleise über eine Brücke überquert und mit "Pyro, Hass und Gewalt" begrüßt.

- "Pyro, Hass und Gewalt" - Begrüßung auf Rostocker Art

Kurz darauf sahen wir dann die ersten Polizisten in ihrer Einsatzkleidung. Aber ohne Helm und recht freundlich. Erstaunlich ... Kurze Frage, wie man zum Gästeblock kommt und eine freundliche Antwort. Holla - das kennt man auch anders. Selbst einen Scherz konnte man machen und die Gruppe Polizisten - es waren wohl 5 oder 6 - lächelten sogar.

Es ging weiter in Richtung des Stadions. Irgendwann sah man dann auch die Flutlichtmasten. Dann die nächste Gruppe Polizei und eine Absperrung. OK, auch hier wieder die Frage, wie man zum Gästeblock kommt und wieder eine freundliche Antwort: "Hier lang", also durch die abgesperrte Straße. An der Sperre noch die kurze Frage eines Polizisten "Seid Ihr wirklich Gästefans?" - "Ja!" OK, die Sperre geht auf. Dann noch ein Stückchen weiter und man betrat den "Käfig". Also den Bereich vor dem Stadion, in dem sich Autos der Gästefans und später dann auch die zwei Busse befanden. Auch hier Polizei in Einsatzkleidung, aber ohne Helm auf dem Kopf und sichtlich bemüht, entspannt zu wirken.

Gut, soweit sind wir dann also. Vor dem "Käfig" dann die nächsten Begrüßungen auf Rostocker Art:

- "Gäste auf's Maul" - Freundliches Volk hier - mit leichter Rechtschreibschwäche

- Die klassische Rostocker Begrüßung (offenbar): "Die Wende machte aus uns Monster"

Somit war eine gewisse Tendenz abzuleiten - man mag hier offenbar keine Gästefans. Ebenso definiert man sich selbst als Monster. Nun ja. Der Respekt ist ja gegeben, aber deshalb gleich ohne Gäste spielen?

Das Spiel selbst war dann, zum Glück aus unserer Sicht, erfolgreich verlaufen. Lediglich nach dem Anschlusstreffer kam von der Gegentribüne ein wenig Aggression in Richtung des Gästeblocks auf. Man hatte den Eindruck, die Rostocker haben sich mal den "All Blacks Haka" angesehen. Wirkte gut.

Dann war das Spiel um. Wie schon eingangs geschrieben, waren leicht nervöse Aktivitäten festzustellen, da zahlreiche Anhänger sich von "oben" einen Eindruck über die Situation "draußen" verschaffen wollten.

Aber selbst Vorsätze wie "wir gehen fünf Minuten vor dem Ende" konnte man bei dem Spielstand und der Situation auf dem Platz nicht ernsthaft umsetzen. Also blieb man.
Dann verabschiedete sich die Mannschaft - warum trauten die sich nicht näher zu uns? - und man wurde "sanft" aus dem Stadion begleitet. Wirklich ohne böse Worte, ohne dumme Bemerkungen und ohne Geschubse.

Draußen war zwischenzeitlich der "Käfig" abgeriegelt. Blocksperre. Wobei es eher "Platzsperre" war, denn aus dem Block kam man, aber eben nicht vom Platz. Nun geschah etwas merkwürdiges. War man mal auf einigen Auswärtsspielen, so kennt man es, dass die Polizei ihre Helme auf hat, in Reihen steht und darüber wacht, dass keiner das Gelände verlässt. Stoisch und stur stehen sie da. Die Damen und Herren in dunkelgrün, dunkelblau oder gar schwarz. Nicht hier in Rostock.

Man steht entspannt und ohne Helm herum. Versucht einigen Anhängern zu erklären, dass es noch dauern wird. Es bilden sich Gruppen - wer kennt nicht diese Gruppenbildung bei iRobot - und man spricht. Polizisten gehen einzeln auf diese Gruppen zu, erklären und beraten. Merkwürdig. So etwas habe ich noch nicht gesehen.
Eine Frau hat irgendwie wohl Kreislaufprobleme. Die Kioske im Stadion sind zu. Der Zugang zum Stadion auch. Ein Polizist geht weg und kommt mit einem Tetrapak Wasser wieder. Wasser, das die Einsatzkräfte in ihren Einsatzfahrzeugen haben und das für sie bestimmt ist. Er reicht der Frau das Wasser und spricht mit ihr.

Komische Menschlichkeit. Auf beiden Seiten. Kann es sein, dass Fußballfans doch keine Verbrecher sind und die Polizisten auch "nur Menschen"?

Es zieht sich ca. eine Stunde, bis der "Käfig" geöffnet wird. Nicht ohne von den herumlaufenden Polizisten beraten zu werden. Manche erhalten die Empfehlung, das Trikot dann doch besser auszuziehen oder zumindest umzudrehen. Andere werden beraten, wie sie am besten hier oder dort hinkommen. Nach ca. 400 bis 500 Metern verteilt sich die Anhängerschaft, die Autos und die Busse teilen sich in die Straßen auf. Wir sitzen noch in einem griechischen Restaurant in der Nähe des Stadions, essen gemütlich zu Abend und wundern uns nur noch. Freundlichkeit pur. Völlig unerwartet.

Auch wenn man nun lesen musste, dass es offenbar in einer Seitenstraße vom Stadion zu einer Auseinandersetzung zwischen Suptras/Ultras und Polizei kam, auf der Seite der Gästefans habe ich bislang kaum eine solch entspannte Situation erlebt wie hier in Rostock.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine Polizeiführung mal darüber nachgedacht hat, was das Wort De-Eskalation bedeutet und wie man es am sinnvollsten anwendet.

Deshalb an dieser Stelle ein extrem dickes Dankeschön an die Einsatzkräfte in Rostock, zumindest die, die sich im Gästebereich aufgehalten haben. Vielen Dank für diese Erfahrung, dass man tatsächlich wie ein "Gast" behandelt wird. Eine Erfahrung, die man viel öfter machen sollte. Die schlimmsten Erwartungen wurden ad absurdum geführt.

Das soll nicht bedeuten, dass man in Zukunft ohne Vorsicht und Zurückhaltung nach Rostock fahren kann. Sicher war die Situation am Sonntag außergewöhnlich, da sich die Ultras und Suptras außerhalb des Stadions befunden haben. Es gibt offenbar in dieser Region einen sehr tiefsitzenden Hass uns "Wessis" gegenüber. So fand sich an der Strandmauer von Warnemünde ein weiterer Willkommensgruß.

- "Das Schlimme am Sommer seid ihr Wessis"

Unabhängig davon jedoch ist beim Spiel am Sonntag ein sehr besonnener Einsatzplan umgesetzt worden, der sicher als Beispiel für andere Spiele dienen kann. Wir werden am 31. August sehen, wie wir in Dresden empfangen und behandelt werden.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: JochenG (Gastautor)

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