Interview mit Sport-Ökonom Dr. Daniel Weimar

"Die Angst, dass der FCK stirbt, ist nahezu unbegründet"

"Die Angst, dass der FCK stirbt, ist nahezu unbegründet"


Daniel Weimar sprach schon über das Insolvenz-Szenario beim 1. FC Kaiserslautern, als es sonst noch niemand hören wollte. Wir haben den Wirtschaftswissenschaftler zur neuesten Entwicklung am Betze befragt.

In der berühmt-berüchtigten "Kammgarn-Diskussion" von SWR4, wo im März 2019 die Konflikte in der damaligen FCK-Führung öffentlich zutage traten, saß Dr. Daniel Weimar als neutrale Stimme mit auf dem Podium. Der FCK nehme seit Monaten "einen idealtypischen Verlauf" für einen Klub, der bald in die Insolvenz rutsche, warnte der Wirtschaftswissenschaftler schon damals.

Der heute 36-jährige Weimar ist wissenschaftlicher Rat an der Universität Duisburg-Essen und beschäftigt sich unter anderem mit Insolvenzen im Fußball. In einer gemeinsamen Studie mit Dr. Stefan Szymanski von der University of Michigan hat er mehr als 100 Insolvenzen im deutschen Fußball seit 1994 von der fünfte Liga aufwärts untersucht. Im DBB-Interview spricht er über die neue Situation beim 1. FC Kaiserslautern sowie über Chancen und Risiken des am Montag eingeleiteten vorläufigen Insolvenzverfahrens.

Der Betze brennt: Daniel Weimar, der Antrag des 1. FC Kaiserslautern auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hat sie vermutlich nicht besonders überrascht? 

Weimar: Nein, beim FCK war es eher ein Frage der Zeit als eine Frage, ob es überhaupt zu einem Insolvenzverfahren kommt. Als ich 2019 zu der Podiumsdiskussion in Kaiserslautern eingeladen war, hat man schon gemerkt, wie negativ das Umfeld gestimmt war. Im Prospekt zur Betze-Anleihe II konnte man bereits sehen, dass der Stammverein strukturell überschuldet war. Fußball-Unternehmen "retten" sich aber häufig mit einer positiven Fortführungsprognose, die andererseits oft auch gerechtfertigt ist. Denn Fußball geht ja doch immer weiter. Die Nachfrage ist da, die Fans sind da. Das ist mit anderen Unternehmen nicht vergleichbar.

Der Betze brennt: Sie haben sich in einer Studie wissenschaftlich mit Insolvenzen in den oberen fünf Ligen des deutschen Fußball beschäftigt. Was zunächst auffällt, ist die hohe Zahl von mehr als 100 Fällen.

Weimar: Es kommt im Fußball relativ häufig zu Insolvenzen. Deutlich häufiger als in der Grundgesamtheit der Unternehmen in Deutschland - die Anzahl ist ungefähr viermal höher. Mit dem 1. FC Kaiserslautern haben wir jetzt 125 Fälle.

"Der FCK ist Fußball-kulturell und ökonomisch eine andere Dimension"

Der Betze brennt: Was macht den Insolvenzantrag des FCK vor diesem Hintergrund trotzdem besonders?

Weimar: Der 1. FC Kaiserslautern ist der erste ehemalige Bundesliga-Meister, der in ein Insolvenzverfahren gehen muss. Dieser Fall ist in Sachen Reichweite und Größe des Fan-Umfelds einmalig. In Ansätzen ähnlich brisant sind allenfalls die Insolvenzverfahren bei anderen Traditionsklubs wie etwa Rot-Weiß Essen Anfang des letzten Jahrzehnts. Auch die Summe der in Lautern im Raum stehenden Verbindlichkeiten (über 20 Millionen Euro; Anm. d. Red.) ist einmalig. Kurzum: Der Insolvenzantrag des FCK ist sowohl Fußball-kulturell als auch ökonomisch der Fall mit der bislang größten Dimension. 

Der Betze brennt: Abgesehen von dieser neuen Dimension: Inwiefern ist die Entwicklung beim FCK mit Insolvenzanträgen an anderen Fußball-Standorten vergleichbar?

Weimar: Wir sehen bei ganz vielen Vereinen einen klassischen Verlauf. Ein Klub unterschreitet eine Hürde aufgrund eines Abstiegs, wichtige Einnahmen werden dadurch abgeschnürt. Gelingt dann nicht innerhalb von ein, zwei Jahren der Wiederaufstieg, sind die Reserven aufgezehrt. Diesen typischen Verlauf sieht man auch beim 1. FC Kaiserslautern.

"Die Ausgliederung hat dem FCK nur etwas Luft verschafft"

Der Betze brennt: Wäre die Öffnung der Fan-Säule im Lautrer Vier-Säulen-Modell nach der Ausgliederung die bessere Option gewesen als das Auflegen einer neuen Fan-Anleihe? Und hätte das etwas an der Entwicklung geändert?

Weimar: Das ist schwer zu sagen. Letztlich ist das Volumen der über Fan-Anleihe und Crowdlending eingenommenen Gelder in Relation zu den Gesamtschulden relativ klein. Womöglich hätte man schon vor zwei Jahren einen Insolvenzantrag stellen sollen. Stattdessen hat man sich durch die Ausgliederung nur etwas Luft verschafft.

Der Betze brennt: Beim FCK war dieser beschriebene Abstieg zunächst der aus der Bundesliga von 2012, aber dann vor allem der Sturz in die 3. Liga im Jahr 2018. Welche Bedeutung kommt den wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen in dieser Spielklasse zu?

Weimar: In absoluten Zahlen gibt es in der vierten und fünften Liga die meisten Insolvenzen. Aber im Verhältnis zur Grundgesamtheit ist die Insolvenzwahrscheinlichkeit in der 3. Liga am höchsten. Die 3. Liga ist mit Blick auf die Insolvenzstatistik ganz klar die "Todesliga". Das Hauptproblem ist die harte Grenze zwischen 2. Bundesliga und 3. Liga in Sachen TV-Geld. Die einfachste Lösung für dieses Problem wäre, die TV-Erträge bis hinunter in die fünfte Liga linear zu verteilen.

Einflüsse von außen und von innen könnten das Insolvenzverfahren stören

Der Betze brennt: Und welche Rolle spielen die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie beziehungsweise der Vorwurf mancher Kritiker, der FCK nutze den ausgesetzten Neun-Punkte-Abzug jetzt zur Sanierung?

Weimar: Auch die Frage, ob die Corona-bedingte Aussetzung der Sanktionen ausgenutzt werden kann, ist schwer zu beantworten. Die Verantwortlichen müssen aber alleine schon insolvenzrechtlich beweisen, dass der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens notwendig war, und zwar zum jetzigen Zeitpunkt. Sie müssen belegen, dass die strukturelle Überschuldung der Kapitalgesellschaft nicht schon vor Corona vorlag. Eine drohende Zahlungsunfähigkeit muss dann beantragt werden, wenn absehbar ist, dass man die Rechnungen nicht bezahlen kann. Da man weiß, wann Verträge auslaufen, wann Verbindlichkeiten fällig werden, kann dieser Zeitpunkt nicht frei gewählt werden. Eine Wahloption sehe ich hier eigentlich nicht. Und man darf die Risiken des ganzen Verfahrens ja auch nicht außer Acht lassen.

Der Betze brennt: Inwiefern?

Weimar: Es gibt im Insolvenzverfahren beim FCK mit Quattrex und Flavio Becca zwei Akteure, die vielleicht nicht unbedingt auf eine friedliche Lösung aus sind. Es könnte sein, dass sich beide Gläubiger durch den Insolvenzantrag unter Druck gesetzt fühlen und nun das Verfahren gefährden, indem sie beispielsweise den Eigenverwalter ablehnen oder Anträgen nicht zustimmen.

Der Betze brennt: Kann auch die wahrscheinlich sehr große öffentliche Beachtung des Verfahrens Probleme mit sich bringen?

Weimar: Grundsätzlich können externe Störgeräusche ein Verfahren behindern und Unsicherheiten bei den Beteiligten hervorrufen. Gegenseitige Äußerungen etwa über die Medien könnten dazu führen, dass sich die Fronten verhärten. Wir haben zum Beispiel im Insolvenzverfahren des Chemnitzer FC zahlreiche Probleme gesehen zwischen dem Vorstand, dem Insolvenzverwalter und den Gläubigern. An kleineren Standorten wie bei Wattenscheid 09, dem FSV Frankfurt oder dem VfR Aalen wurde medial dagegen ganz wenig berichtet - und wenn dann eher über Fortschritte im Insolvenzverfahren. 

"Die beste Lösung zur Sanierung ist natürlich der Aufstieg, aber..."

Der Betze brennt: Welche potentiellen Schwierigkeiten im Verfahren sehen Sie noch?

Weimar: Ich bin nicht sicher, ob es für den FCK so gut ist, eine Insolvenz in Eigenverwaltung zu beantragen. Denn die Fremdverwaltung hat einen Riesenvorteil: In einem Insolvenzverfahren müssen Entscheidungen getroffen werden, die emotional hart, aber ökonomisch wichtig sind. Werden solche Entscheidungen vom Insolvenzverwalter getroffen, wird es vom Umfeld eher akzeptiert, da der Verein ja nicht verantwortlich ist. Auf die externe Person des Insolvenzverwalters kann man viel besser wütend sein. Der ist das gewohnt, der kann das ab. 

Der Betze brennt: Was können die Fans und das Umfeld tun, um das Verfahren positiv zu beeinflussen?

Weimar: Die Anhänger können etwas beitragen, indem sie das Verfahren nicht zusätzlich befeuern und beispielsweise gegen Gläubiger oder die Eigenverwaltung schießen. Man muss realistisch sein und und auch emotional harte Einschnitte akzeptieren. Es geht dabei viel um Akzeptanz.

Der Betze brennt: Das heißt auch, die richtigen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.

Weimar: Der FCK ist in seinen Strukturen in vielerlei Hinsicht noch ein Zweitliga-Verein. Die beste Lösung zur Sanierung ist natürlich der Wiederaufstieg. Aber man kann sich auch in der 3. Liga konsolidieren. Dann muss man aber anders denken. Vielleicht muss man eher denken wie ein Regionalligist. Man muss zum Beispiel das Ehrenamt viel mehr forcieren. Es kann nicht jeder für jede Tätigkeit eine Entlohnung verlangen. Auch das NLZ, dessen Strukturkosten enorm hoch sind, muss man auf den Prüfstand stellen. Ob dieses Umdenken gelingt, wird spannend zu beobachten. 

"Es ist tatsächlich die größte Chance seit dem Bundesliga-Aufstieg 2010"

Der Betze brennt: Die FCK-Verantwortlichen haben bei der Pressekonferenz am Montag das Potential und die Zukunftsfähigkeit betont und auch von einer Chance gesprochen.

Weimar: Im Fußball ist eine Korrelation zwischen Insolvenz und Fan-Nachfrage oder dem Interesse von Sponsoren fast nicht vorhanden. Deshalb ist die Insolvenz im Fußball im Gegensatz zur Realwirtschaft wirklich eine Chance. Die Überlebensquote ist sehr hoch. 

Der Betze brennt: Die Aussichten, dass auf dem Betzenberg auch künftig professionell Fußball gespielt wird, sind also gar nicht schlecht?

Weimar: Die Angst, dass der FCK stirbt, ist nahezu unbegründet. Es gab bei den bisher 125 Insolvenzanträgen im Fußball seit 1994 nur ganz wenige Klubs, die komplett liquidiert wurden. Für Kaiserslautern ist es eine Chance, sich komplett neu aufzustellen. Auch die Stadt muss doch ein großes Interesse daran haben, dass der Klub als einziger Mieter des Stadions und als wichtiger Repräsentant weiter spielt. Es ist tatsächlich die größte Chance für den FCK seit dem Aufstieg in die Bundesliga 2010.

Der Betze brennt: Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Korrektur: Im Text war zunächst die Rede davon, dass der FCK "der erste ehemalige Deutsche Meister" sei, der in ein Insolvenzverfahren gehen muss. Präziser ist die Bezeichnung "der erste ehemalige Bundesliga-Meister", da zuvor mit Rot-Weiß Essen (1955 vor Gründung der Bundesliga) und dem Chemnitzer FC (1967 in der DDR) auch schon zwei andere Ex-Meister Insolvenz angemeldet haben.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Ingo

Weitere Links zum Thema:

- Chronologie im DBB-Forum: Der FCK beantragt eine Insolvenz in Eigenverwaltung

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