Taktik-Nachlese zum Spiel SGD-FCK

Taktikanalyse: Viele Gegentreffer, altbekannte Fehler

Taktikanalyse: Viele Gegentreffer, altbekannte Fehler

Foto: Imago Images

4:3 - das deutet auf ein Fußballspektakel hin, das durchaus auch den Fans der unterlegenen Mannschaft Spaß machen könnte. Wenn die Lage für den 1. FC Kaiserslautern nur nicht so verdammt bedrohlich wäre.

Wer die Analyse eines solchen Spiels partout an einer "Schlüsselszene" festmachen möchte, wird sich wohl für die aus der 67. Minute entscheiden. Marvin Pourié darf nach einem Stockfehler der Dresdner Hintermannschaft allein aufs Tor zulaufen, scheitert aber an Dynamo Keeper Kevin Broll. Mit einem Treffer hätte er seiner Mannschaft einen Zwei-Tore-Vorsprung beschert, 20 Minuten vor Schluss wohlgemerkt und nachdem der FCK gerade aus einem 1:2-Rückstand ein 3:2 gemacht hatte. Damit wäre das Spiel wohl entschieden gewesen.

67. Minute? Pourié vergibt eine "Hundertprozentige", mit der er einen Zwei-Tore-Vorsprung herstellen kann? Hatten wir das nicht gerade erst vor einer Woche in Verl? Richtig: Da verschoss der Stürmer einen Foulelfmeter. Also ist Pourié nun der Sündenbock? Der, der nun zwar schon acht Treffer auf dem Konto hat, der aber - Phrasenschwein, aufgemerkt - "die einfachen Dinger nicht macht"?

Pourié der Sündenbock? Bitte das ganze Spiel betrachten

Als ob das so einfach wäre. Solche Momentaufnahmen können hin und wieder zwar mal bezeichnend für eine Gesamtsituation sein, ergeben aber nie ein differenziertes Bild. Und schon gar kein gerechtes.

Fakt ist: Pourié macht sein bestes Spiel seit Wochen, nachdem er zuletzt fast schon ein wenig die Lust verloren zu haben schien. Er ist bis zu seiner Auswechslung in der 78. Minute ständig in Bewegung, präsentiert sich ebenso abschluss- wie mitspielfreudig, schießt ein geniales Tor mit der Hacke zum 2:2, als ihn Philipp Hercher, der mit Jean Zimmer zusammen ein bärenstarkes Pärchen auf der rechten Seite bildet, mustergültig bedient. Und wenn es Schiedsrichter Christof Günsch gut mit Pourié gemeint hätte, hätte er ihm in der 77. Minute - da steht es 3:3 - sogar noch einen Elfmeter zugesprochen.

Pourié, Redondo, Zimmer: Offensiv fand der FCK zu neuer Stärke

Überhaupt: Drei Tore beim Tabellenführer, der vor dieser Partie mit erst 16 Gegentreffern die beste Defensive der Liga stellte - schon das zeigt, dass es an der Offensivleistung der Lautrer nicht viel zu meckern gibt. Zumal alle drei auch gut herausgespielt sind, in schnell vorgetragenen Aktionen über mehrere Stationen. Das 1:0 legt Zimmer Kenny Prince Redondo auf, beim 3:2 bedient Marlon Ritter den Linksfuß, der mit vier Treffern und fünf Vorlagen nun Top-Scorer seines Teams ist.

So aussichtslos die Partie für den FCK mit Blick auf die Tabelle schien, so vielversprechend ist sie zeitweise dann doch anzuschauen. Endlich darf sich Jeff Saibenes Mannschaft mal nur aufs Reagieren konzentrieren, da es auf einen Gegner trifft, der initiativ sein will. Und dank eines frühen Führungstores und einigen gelungenen Defensivaktionen in den anschließenden Minuten scheint sich das nötige Selbstvertrauen einzustellen. Dass es nach vorne gut lief, belegt auch die Positions- und Passgrafik. Viel schöner kann sich ein 4-1-4-1 nicht abbilden. Deutlich zu erkennen: die starke rechte Seite. Und endlich zeigen wieder mal viele Pfeile auf Pourié.

> Passmap FCK

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik der Dresdner. Keine Frage: Ballbesitz hatten sie mehr, aber der wurde für Lautern nicht wirklich zum Problem.

> Passmap SGD

Verloren wird das Spiel in der Abwehr. Vier Gegentreffer in 90 Minuten haben die Lautrer diese Saison noch nie kassiert. Seit Jeff Saibene den Trainerstab übernahm, hieß es doch immer wieder, dass die Defensive mittlerweile ja recht stabil stehe und es nur an Toren fehle, oder? Auch das war zu kurz gedacht, wie sich in Dresden zeigt. Nach dieser Partie von einem "Ausrutscher" zu sprechen - oder gar die Entschuldigung anzuführen, dass es ja "immerhin gegen den Tabellenführer" ging -, wäre fatal. Denn die Fehlerbilder, die sich bei diesen Gegentoren zeigen, waren schon öfter zu sehen, auch wenn sie nicht immer zu Niederlagen führten.

Nichts Neues: Die linke Seite als Achillesferse

So ist es zum Beispiel nicht das erste Mal, dass sich die linke Abwehrseite als Achillesferse der Lautrer offenbart. Dresden bereitet seine ersten beiden Treffer über diesen Flügel vor. Und hat auch schon, bevor der FCK das 1:0 erzielt, zwei gute Gelegenheiten über seine rechte Seite eingeleitet. Vor der ersten, als Philipp Hosiner auf Christoph Daferner flankt, war Adam Hlousek weggerutscht - okay, das kann auf einem derart seifigen Untergrund schon mal passieren. Beim zweiten Mal rennt jedoch Ransdorf-Yeboah Königsdörffer nach dem Pass in die Tiefe dem linken Innenverteidiger Janik Bachmann davon. Und dieses Bild war von nun an ständig zu sehen. Vor allem der agile Philipp Hosiner entwischt Bachmann ein ums andere Mal.

Vor dem 1:1 flankt Hosiner vom besagten Flügel auf die 1,89-Kante Daferner, gegen den Hercher im Kopfballduell am langen Pfosten nicht ernsthaft eine Chance hat, zumal der Stürmer auch seine Arme einsetzt. Vorm 2:1-Führungstreffer der Dresdner wiederum ist es Daferner, der Bachmann davonwieselt und Hosiner bedient.

Auch die Timeline der "expected Goals" belegt, dass die Dresdner schon vor Redondos erstem Treffer locker hätten führen können.

> xG-Plot SGD-FCK

Wobei unsere Visualisierung auch diesmal ein Rätsel aufweist, das wir nicht erklären können: Weshalb nur wird Pouries Großchance in der 67. Minute so gering bewertet, mit allenfalls 0,1 xG, also zehnprozentiger Trefferwahrscheinlichkeit? Der Stürmer stand allein vorm Keeper, befand sich weder in Bedrängnis noch im Vollsprint.

Von wegen Umschaltsituation: Dresden trifft gegen gestaffelt stehende FCK-Abwehr

Ebenfalls auffällig: Dresden leitet seinen ersten und seinen dritten Treffer gar nicht mal durch die berühmten "Umschaltsituationen" ein, sondern gegen einen bereits gestaffelt stehenden Defensivverbund. Dem ersten geht ein präziser Diagonalball voraus, den Königsdörffer von der rechten Außenlinie Hosiner per Kopf in den Lauf legt. Beim dritten spielt der Gastgeber seinen Mittelstürmer sogar flach durchs Zentrum an. Der darf annehmen, auf den halblinks einlaufenden Hosiner ablegen, der wiederum den freistehenden Königsdörffer in der Mitte sieht. Ganz schön viel Platz für so viele torgefährliche Gegner, wo am Ausgangspunkt dieser Szene eigentlich nur Pourié vor dem Ball postiert ist. Der vierte Gegentreffer dagegen fällt wieder einmal nach einem ruhenden Ball. Die FCK-Hintermannschaft bekommt eine Ecke nicht geklärt. Hatten wir zuletzt länger nicht mehr, ist aber auch nichts Neues.

Außerdem ist zu notieren: Der FCK hat im Moment nichts, was er von der Bank nachlegen kann. Als nach 78 Minuten neben Pourié auch Zimmer vom Feld geht - angesichts der erbrachten Laufleistung der beiden verständlich - ist das Spiel nach vorne schlagartig lahmgelegt. Vier Minuten später fällt das 4:3. Danach hätte man die Partie getrost abpfeifen können.

Im Winterschlussverkauf zuschlagen? Trainer wechseln? Nerven behalten!

Der FCK rangiert nun auf Platz 18 der Tabelle. Was nun? Jetzt, im Winterschlussverkauf, hektisch die Ersatzbänke von Erst- und Zweitligisten abgrasen und Kicker ausleihen, denen es an Wettkampfpraxis fehlt und die Kader und Budget weiter aufblähen? Oder, na klar, wieder mal den Trainer entlassen? Und einen neuen einstellen, ehe der angekündigte neue sportliche Leiter feststeht, der gegebenenfalls wieder andere Vorstellungen hat? Der aber vor den nächsten Aufsichtsratswahlen bei der Jahreshauptversammlung am 26. Februar kaum zu erwarten ist? Dann würde wieder der zweite Schritt vor dem ersten gemacht, und die Chance, diesen Teufelskreis zu beenden, abermals vertan. Es hilft nichts: Oberstes Gebot kann nur sein, die Nerven zu behalten. So bedrohlich die Lage ohne Frage ist - bis Rang 11 sind es nur vier Punkte. Und die lassen sich auch mit den vorhandenen Kräften aufholen, wenn diese richtig gebündelt werden. Die in Dresden aktive Offensivbesetzung hat weitere Chancen verdient. In der hinteren Viererkette dagegen wäre dringend angezeigt, das Experiment mit Bachmann als Innenverteidiger zu beenden und auf Alex Winkler zu setzen, der zuletzt als Bachmann-Vertreter stark ansteigende Form zeigte. Auch mit kleinen Schritten lässt sich vorwärts kommen.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

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