Taktik-Nachlese zum Spiel Havelse-FCK

Die DBB-Analyse: Die Mischung macht's

Die DBB-Analyse: Die Mischung macht's

Foto: Imago Images

Höchster Auswärtssieg seit 1994, drittes gewonnenes Spiel in Folge, sechstes "zu null" in elf Partien - beim 6:0 des 1. FC Kaiserslautern gegen den TSV Havelse hagelt es Rekorde. Gehen wir es mal nüchterner an - und betrachten, wie die Tore erzielt wurden.

Ein Treffer aus einer Umschaltsituation heraus, zwei nach ruhenden Bällen, drei gegen im Grunde sortierte Gegner. Oder sagen wir lieber: aus Situationen, in denen der Gegner eigentlich Zeit hatte, sich zu sortieren. Das ist eine gesunde Mischung, die in diesem Verhältnis gerne beibehalten werden darf. Optimal wäre natürlich, wenn sich auch der Anteil an Konter-Toren noch auf ein Drittel erhöhen würde. Aber wer will nach so einem Spiel schon meckern?

Immerhin: Mit zwei Treffern nach Standards lag deren Quote in Hannover bei exakt den 30 Prozent, die laut Statistik angestrebt werden sollte - richtig gut spezialisierte Teams erzielen sogar über 40 Prozent ihrer Treffer nach ruhenden Bällen. Damit ist das FCK-Team 2020/21 im Begriff, eine Schwäche auszumerzen, die am Betzenberg seit Jahren beklagt wird.

Bereits in der Pressekonferenz vor der Havelse-Partie äußerte sich Trainer Marco Antwerpen darauf angesprochen, dass sich in dieser Disziplin langsam etwas bessert. Denn schon in der Woche zuvor gegen den VfL Osnabrück hatte Philipp Hercher einen Treffer nach einer Ecke von Nicolas Sessa und einer Kopfball-Verlängerung von Kevin Kraus erzielt. Gegen Havelse waren es Boris Tomiak und ein Gegenspieler, die sich vor dem 4:0 eine Ecke von Mike Wunderlich über den Scheitel rutschen ließen. Hercher stand abermals am langen Pfosten und vollstreckte.

Eckbälle: Gut treten, gut köpfen, aber auch die Abläufe sind wichtig

"Wir trainieren das natürlich", hatte Antwerpen auf die DBB-Frage nach den Standardsituationen geantwortet. Damit die Ecken tatsächlich besser werden konnten, habe man zunächst mal Spieler gebraucht, die diese "gut treten" könnten. Dann "muss man gute Abläufe drin haben und Kopfballspieler, die das verwerten können." Die einzelnen Varianten gäbe gar nicht mal das Trainerteam vor, sondern würden größtenteils "von den Jungs selbst einstudiert".

Dass mit Tomiak und René Klingenburg zwei hochgewachsene Spieler zum Kader gestoßen sind, die für mehr Torgefahr nach hohen Flugbällen sorgen, ist bekannt. Ebenso, dass mit Wunderlich einer dazugekommen ist, der diese "gut treten" kann, wie es der Trainer verlangt. Allerdings: für den Kopfballtreffer zum 2:0 nach Freistoß-Flanke aus dem rechten Halbfeld zeichneten Hendrick Zuck und Kevin Kraus verantwortlich, zwei der dienstältesten Spieler im aktuellen FCK-Team. Es kann also nicht nur an neuem Personal liegen. Eher schon an verbesserten Abläufen.

Spätstarter Marlon Ritter: Schlanker, schneller, gereifter

Für den Treffer aus der bereits zitierten Umschaltsituation sorgte einer, der schon über ein Jahr beim FCK weilt, aber erst seit Saisonbeginn positiv auffällt - zwischenzeitlich war er allerdings vier Wochen wegen einer Muskelquetschung ausgeschaltet. Marlon Ritter beeindruckte am ersten Spieltag gegen Braunschweig in neuer Rolle als tiefer Aufbauspieler vor der Abwehrkette. Dorthin kehrte er auch nach seiner Genesung im September zurück und trumpft seither weiter stark auf.

"Wir haben seine Position jetzt gefunden. Die füllt er sehr gut aus, weil er einer ist, der ein Spiel lesen kann", hatte Antwerpen ebenfalls am Donnerstag erklärt. Dass Ritter ein Jahr gebraucht habe, um in Lautern anzukommen, habe auch das Trainerteam mit Ungeduld verfolgt, aber bei manchen dauere es eben länger. "Er hat seine körperlichen Defizite in den Griff gekriegt", ergänzt der Coach. In der Tat präsentiert sich Ritter bereits seit Saisonbeginn mit einer ganz anderen Körperspannung, wirkt um ein paar Kilo leichter. Eben das spielte er bei seinem Treffer zum 1:0 aus.

Die Vier in der Raute: Mit Götze munter am Rotieren

Havelse war kurz zuvor ein Freistoß aus dem Halbfeld zugesprochen worden, und da auch höher gewachsenen Offensivspieler in den eigenen Strafraum zurück mussten, um den Flugball abzuwehren, war der 1,73 Meter große Ritter eingeteilt worden, an der Mittellinie zu lauern. Dort nahm er den Befreiungsschlag in einer derart formvollendeten fließenden Bewegung an und mit, dass selbst Havelses Sportlicher Leiter Matthias Limbach in der Halbzeit ins Schwärmen geriet: "Wenn das Absicht war, gehört Ritter nicht in diese Liga." Beim anschließenden Sprint Richtung Tor dürfte die gesteigerte Fitness Ritter den Weg leichter gemacht haben.

Der durfte seine Sechser-Rolle diesmal übrigens variabler ausfüllen als zuletzt. Nachdem Sessa mit einem grippalen Infekt ausfiel, war Felix Götze in die Startelf gerückt, der normalerweise weiter hinten im Mittelfeld zuhause ist. Also switchte Götze öfter mal mit Ritter, und auch Wunderlich und Klingenburg interpretierten ihre Rollen als Zehner und Achter in der Raute nicht stur, sondern rotierten munter im Zentrum des Lautrer Spiels.

4:0, 5:0, 6:0: Mal mit Gegners Hilfe, mal gekonnt, mal mit Kraft

Erfolge am Unvermögen des Gegners festzumachen, gilt dagegen als unfein. Doch zumindest angesichts des dritten Treffers durch Wunderlich muss es gesagt werden. Da verteidigte der Aufsteiger einfach nur schlecht. Einen nach einem Einwurf eingeleiteten langen Ball von Hercher verlängerte erst Niklas Tasky ungelenk in den eigenen Strafraum, wo Daniel Hanslik sich gegen Tobias Fölster den Ball nahezu unbedrängt zurechtlegen und abschließen durfte. Stark war lediglich die Reaktion von TSV-Keeper Norman Quindt, der Pech hatte, dass der von ihm abgewehrte Ball direkt vor den Füßen von Wunderlich landete. So leicht wird's den Lautrern in dieser Spielzeit sicher nicht allzu oft gemacht werden.

Das 5:0 wiederum war schön herausgespielt und gleichzeitig Resultat eines energisch zurückeroberten zweiten Balles. Hanslik legte einen langen Ball von Tomiak in den Laufweg des heraneilenden Wunderlich, der dribbelte sich in Schussposition, traf den Pfosten, Hercher behauptete den zurückprallenden Ball und flankte flach von rechts auf Hanslik, der den Fuß hinhielt. So sieht Fußball aus, der Laune macht.

Das 6:0 wiederum resultierte eher aus einem Kraftakt. Tomiak, der schon seit Wochen mit Kraus und Alex Winkler eine kaum zu überwindende Dreier-Abwehrkette bildet, wollte offenbar um jeden Preis seinen ersten Treffer im Dress der Roten Teufel erzielen und riskierte halbrechts aus 30 Meter einen Gewaltschuss, der tatsächlich am Lattenkreuz landete. Den Abpraller verwertete Hanslik per Kopf, sodass auch der Stürmer, der sich mit seiner Beweglichkeit und seinem taktischen Verständnis gegen seine Mitbewerber als 1a-Lösung für ganz vorne profilierte, gleich mit zwei Treffern in der Torschützenliste dieser Spielzeit debütierte. Das ist gut fürs Selbstvertrauen.

Formation gefunden: Ungewöhnlich, aber optimal fürs Personal

Zehn Punkte und ein Torverhältnis von 10:0 aus den jüngsten vier Spielen - keine Frage, der FCK präsentiert sich so stark und gefestigt wie lange nicht mehr. Mit Dreier-/Fünferkette, Rauten-Mittelfeld und nur einem echten Stürmer hat der Trainer endlich eine Grundformation gefunden, die ungewöhnlich sein mag, in der die individuelle Qualität jedes Einzelnen aber am besten zur Geltung kommen kann. Dies alles brauchte jedoch seine Zeit.

Mag sich da überhaupt noch jemand daran erinnern, dass noch vor vier Wochen recht konkrete Gerüchte um den Betzenberg kreisten, Marco Antwerpen könnte im Fall einer Derby-Niederlage gegen Waldhof Mannheim entlassen werden? Zumindest die, die für eine Ablösung verantwortlich gezeichnet hätten, sollten dies im Hinterkopf behalten. Denn die nächste Talsohle, in der es die Nerven zu bewahren gilt, kommt bestimmt.

Ergänzung, 05.10.2021: Die xG-Grafik: So richtig Raute ist das nicht

Zu den xG-Grafiken. Zur Timeline der qualitativ bewerteten Torchancen gibt es nicht viel zu sagen: Die sieht so aus, wie das tatsächliche Endergebnis es vermuten lässt. Erwähnenswert vielleicht, dass die zwei, drei Torszenen, die Havelse durchaus hatte, als es noch 0:0 stand, so gut wie keine Ausschläge verursachen. Dabei mutete zumindest Yannik Jaeschkes Kopfballposition unmittelbar nach Spielbeginn eigentlich gar nicht so schlecht an. Und wenn dem TSV ein solcher Startschuss geglückt wäre, hätte auch dieses Spiel eine andere Wendung nehmen können.



xG-Plot TSV-FCK


Die Positions- und Passgrafik: Nun ja, wie eine Raute sieht die Anordnung der Vier im Mittelfeld nun nicht gerade aus. Da ist ein gewisser Linksdrall erkennbar, und Götzes Spot ist sogar hinter dem Ritters platziert. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden. Die Spots markieren lediglich die Ballannahmeposition im Durchschnitt.




Götze war durchaus auch weiter vorne zu finden. Man denke nur an die Szene in der 62. Minute, als Götze mit dem Rücken zum Tor den Ball annimmt und elegant Hintermann Niklas Tasky umgeht - den Ball mit der Hacke links am Gegner vorbeigelegt und rechts herumgelaufen. Worauf Tasky ihn anschließend - Frustfoul oder taktisches? - mit dem Ellenbogen von den Beinen holt. Gab’s übrigens nicht mal Gelb für. Für den Spielberichterstatter des SWR war’s sogar rotwürdig.

Passmap FCK



Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik des TSV Havelse: Sieht eigentlich ganz nett aus. Bisschen viel Spiel hintenrum, aber sonst sind die Spots schön vernetzt. Wenn nur die Realität und das tatsächliche Endergebnis nicht wären …



Passmap Havelse

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2021/22: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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