Taktik-Nachlese zum Spiel Türkgücü-FCK

Die DBB-Analyse: Lieber frostig als gruselig

Die DBB-Analyse: Lieber frostig als gruselig

Foto: Imago Images

Wieder Türkgücü München, wieder "Geisterspiel". Das letzte Aufeinandertreffen war für Fans des 1. FC Kaiserslautern in der Tat zum Gruseln. Dieses Mal gestaltete sich der 2:1-Sieg zwar frostig, lässt aber auch Platz für ein paar warme Gedanken.

Es mutet fast schon wie eine Erinnerung aus einem anderen Leben an, aber es sollte mal gesagt werden: Es ist nicht einmal 15 Monate her, dass die Roten Teufel das letzte Mal bei Türkgücü zu Gast waren. Damals an der Heimstätte der Sechzger an der Grünwalder Straße mit ihrem unbestrittenen "Vintage"-Charme. Diesmal ging es in das ebenfalls in Jahre gekommene, monströse Olympiastadion. Beide Male waren es "Geisterspiele", und die erste Partie war auch tatsächlich zum Gruseln: Der FCK ging sang- und klanglos mit 0:3 unter, wodurch auch das Aus für Trainer Boris Schommers besiegelt wurde.

Seitdem hat das Personal auf der Trainerbank sogar schon zwei Mal gewechselt. Vier Spieler von damals standen auch an diesem frostigen Freitagabend in der Startelf. Ein fünfter - Elias Huth - durfte ganz am Ende noch mitmischen, Hendrick Zuck, diesmal von Anfang an dabei, war seinerzeit nur eingewechselt worden. Und dennoch trägt die aktuelle Mannschaft ein vollkommen anderes Gesicht zur Schau, und vom Anpfiff weg entwickelte sich ein Spiel, das exakt umgekehrt begann wie die Blamage damals. Denn diesmal verpennten nicht die Gäste die Anfangsphase, sondern die Gastgeber.

Zwei Treffer gleich zu Beginn: Glücklich zwar, aber auch lobenswert

Als Betrachter aus der Lautrer Perspektive müssen wir nur das Erfreuliche notieren. Das 1:0 nach erst fünf Minuten fiel nach einem langen Ball des linken Innenverteidigers Max Hippe. Die erste wirkungsvoll Offensivaktion, die der 23-Jährige einleitete, und das in in seinem nunmehr fünften Einsatz im FCK-Dress. Bislang hat sich der Neuzugang aus Dortmund fast ausschließlich auf seine Defensivaufgaben konzentriert. Kann man, wenn man will, als Anzeichen dafür werten, dass er langsam in sein neues Team hineinwächst. Zuck zeigte anschließend, dass er flanken, Daniel Hanslik, dass er köpfen kann. Das ist nicht unbedingt was Neues.

Das 2:0, gerade mal zwei Minuten später: Vornehme Fußball-Analytiker nennen es "Gegenpressing", andere "Nachsetzen", wieder andere einfach nur "am Ball bleiben": Ein Einwurf Dominik Schads Richtung Münchner Grundlinie landet eigentlich beim Gegner,. Doch die diesmal in Weiß angetretenen Roten Teufel haben sich so eng in der Einwurfzone postiert, dass Abwehrkante Mergim Mavraj weder Zeit noch Luft bleibt, etwas Konstruktives einzuleiten. Hikmet Ciftci gewinnt den Ball, leitet auf Hanslik weiter, der das Leder auf engem Raum behauptet, welches sich dann der einlaufende Ciftci wieder schnappt. Der riskiert einen Schlenzer, der für einen Profi-Torwart nur Pflückware sein sollte, doch Türkgücü-Keeper Franco Flückiger schmiert das seifige Leder durch die Hände. Ganz klar Dusel für die Gäste, ganz klar Torwartfehler - doch ohne die geistesgegenwärtige Rückeroberung des Balles wäre der Treffer nun einmal auch nicht gefallen.

Wegen Rutsch- und Einschlafgefahr: Ball schieben ist Risiko

Und dann? Solche frühe Führungen gelten gerade in der 3. Liga bekanntlich als Segen. Weil sie die zurückliegende Mannschaft zwingt aufzurücken und so dem im Front liegen Team Räume für Konter öffnet. Sollte man meinen. Aber was geschieht, wenn sich die Rückstand befindliche Mannschaft entschließt, bis auf Weiteres erst einmal nicht in die Offensive zu gehen? Dann wird’s öde. Dabei bemühte sich der FCK wirklich, die Münchner hinten rauszulocken, mit langem Ballgeschiebe durch die hinteren Reihen.

Das hält den eigenen Kasten zwar sauber, birgt aber auch zwei Risiken.

Erstens: Bei einem solchen Schneetreiben rutscht schnell mal was, frag nach bei Flückiger. Nach 25 Minuten war’s dann auch auf der anderen Seite soweit: Der zentrale Abwehrmann Kevin Kraus verliert den Stand und den Ball, Türkgücü-Zehner Sercan Sararer schnappt ihn sich, zieht los, rutscht aber selber aus. Willkommen im Eispalast.

Zweitens: Ballschieberei schläfert nicht nur Betrachter ein, sondern auch Aktive. Nach einer halben Stunden schienen die Gäste von ihrer fußballerischen Verwaltungsarbeit derart sediert, dass die Gastgeber sich endlich nach vorne trauten. Boubacar Barry sowie Petar Sliskovic durften vor Keeper Matheo Raab Kopfbälle ansetzen, wie sie eine wache FCK-Hintermannschaft schon lange nicht mehr zugelassen hat.

Hälfte zwei: Ey - dieses Tor sollte doch eigentlich der FCK schießen

"Das haben wir auch gesehen", erzählte Frank Döpper später. "Drum wollten wir es nach der Pause wieder besser machen." Der Co-Trainer war für den gelbgesperrten und einsam auf den Rängen frierenden Marco Antwerpen diesmal der Verantwortliche an der Seitenlinie.

Was aber nicht so ganz glückte. Besonders ärgerlich: Der Gegentreffer der Münchner nach 55 Minuten fiel exakt so, wie eine in Führung liegende Mannschaft eigentlich treffen will. Ballgewinn 30 Meter vorm eigenen Tor - Barry luchst Hanslik den Ball ab -, schnelles Umschalten - Barry passt auf Sararer, der setzt zu einem langen Sprint durchs Zentrum an und den links mitlaufenden Albion Vrenezi ein - und mit zwei, drei Zügen zum Abschluss - Vrenezi flankt flach auf Sliskovic, der schiebt ein.

Und danach? Spielten die Münchner plötzlich so Fußball, wie er gegen tiefstehende Gegner gespielt werden muss. Schnelle Positions- und Flankenwechsel, viel Bewegung in der Spielfeldmitte. Dem FCK darf zugute gehalten werden: Er ließ aus dem Spiel heraus nicht viel zu, wackelte wirklich ernsthaft nur nach Eckbällen. Und nach einem in der 78. Minute hätte es durchaus schnackeln können: Mavraj jagte eine zu kurze Kopfball-Abwehr haarscharf über Raabs Kasten.

Stabil im 5-4-1 - Wechsel von Zimmer und Huth machten Sinn

Ansonsten stand die Elf, die sich mittlerweile in einem 5-4-1 staffelte, recht stabil. Rechts vor Schad agierte ab der 59. Minute Kapitän Jean Zimmer. Der passte nicht nur besser auf diese Position als Ciftci, sondern brachte auch wieder mehr die Aggressivität ins Spiel zurück, die dem Torschützen verloren gegangen war.

Dass für den elfmeterreif gefoulten Hanslik in den finalen zehn Minuten der zuletzt geschmähte Elias Huth den Vorzug vor Muhammed Kiprit erhielt, machte ebenfalls Sinn. Huth ist laufstärker und war daher die geeignetere Besetzung, um in der Schlussphase als einzige Spitze gegen den Ball zu ackern. Schade, dass er in der Nachspielzeit die Großchance nicht verwertete, die ihm Marlon Ritter mit der Hacke auflegte. Ansonsten hatte es, außer einer Aktion Hansliks nach Flanke von Kenny Redondo, in Hälfte zwei offensiv nicht mehr viel zu sehen gegeben von Seiten des FCK.

Der mit diesen drei nicht schön, aber redlich erarbeiteten Punkten nun auf Schlagdistanz zum Gegner des kommenden Samstag bleibt: Eintracht Braunschweig, aktuell auf Aufstiegsrang zwei rangierend. Zum Rückrundenauftakt bereits von einem "Sechs-Punkte-Spiel" zu sprechen, wäre angesichts des noch großen Kandidaten-Feldes zwar vielleicht übertrieben, doch als Standortbestimmung zum Jahresabschluss kommt die Partie wie gerufen.

Die xG-Grafiken: Hintenrum-Ballgeschiebe wie noch nie

Die Timeline der qualitativ bewerteten Torchancen sieht Türkgücü deutlich vorne. Was in erster Linie aber daran liegt, dass Ciftci zum 2:0 eine Einschussgelegenheit nutzte, die im Grunde gar keine war. Und Sliskovic durfte ein wirklich dickes Ding verwandeln, wie es die beste Hintermannschaft der Liga eigentlich nie und nimmer zulassen darf.

xP-Plot Türkgücü-FCK

Die Positions- und Passgrafik der Roten Teufel dokumentiert sehr eindrucksvoll das Hintenrum-Gespiele vor allem in den ersten Halbzeit. So dicke Spots haben FCK-Abwehrspieler in der ganzen Saison noch nicht fabriziert.

Passmap FCK

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik von Türkgücü: ganz hübsches Bild eigentlich. Hätten die Münchner die Anfangsphase nicht so grandios verpennt, hätte möglicherweise auch das Ergebnis am Ende gestimmt.

Passmap Türkgücü

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2021/22: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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