Porträt: Die Anonyme Giddarischde und das Palzlied

"Die Grumbeere, de Betze - unn mir"

"Die Grumbeere, de Betze - unn mir"

Foto: Imago Images

Auf dem Betzenberg herrscht ein neuer Ton. Und den Soundtrack dazu liefern die "Anonyme Giddarischde" mit ihrem Palzlied. Weshalb beides so gut zueinander passt? Darüber hat DBB-Autor Eric Scherer mit "Edsel" gesprochen, Frontmann Thomas Merz.

"Es iss e Lied fer Leit, die so denke und fühle wie mir. Damit se wisse, sie sinn nett die Äänzische, die so denke." So sagt es Thomas Merz, den alle nur "de Edsel" nennen, der Frontmann der "Anonyme Giddarischde". Richard Rogers und Oscar Hammerstein II hätten wohl so ähnlich ausgedrückt, um was es in "You'll never walk alone" geht, der Fußballhymne schlechthin. Die die beiden US-Amerikaner ursprünglich allerdings gar nicht als solche komponiert hatten, sondern als Schlusslied eines Musicals mit dem Titel "Carousel". Und pfälzisch gesprochen hätten Rogers und Hammerstein II wohl auch nicht.

"De Betze" hat mittlerweile nämlich sein eigenes "You'll never walk alone": das "Palzlied". Zum musikalischen Rahmenprogramm bei FCK-Heimspielen gehört es schon seit Jahren. Und mittlerweile hat es seinen ultimativen Platz im Ablauf gefunden, zwischen dem "Betze-Lied" und dem von den Fans intonierten "You'll never walk alone", nur wenige Augenblicke vor dem Einlaufen der Mannschaften. Herbeigeführt wurde diese Ergänzung im musikalischen Ablauf von verschiedenen Fan-Gruppen. "Über sie wurde der Wunsch immer wieder an uns herangetragen, und nach kurzer interner Absprache haben wir uns entschlossen, den zu erfüllen", meint FCK-Pressesprecher Stefan Roßkopf dazu.

Was ist das für ein Gefühl, wenn sich das Publikum auf der Süd- und der Nordtribüne erhebt und gemeinsam mit den Fans in der Westkurve einen gefühlten Vierzigtausend-Mann-und-Frau-Chor bildet, um dein Lied zu singen? De Edsel ist selten um originelle Formulierungen verlegen, aber dazu fällt ihm außer "unbeschreiblich" auch nichts ein. "Do hoschte ääfach nur en Kloß im Hals."

Bis Mittwoch ein Grinsen im Gesicht

Aber er erinnert sich noch gut an das Lampenfieber, das ihn am 30. April 2022 plagte, als er mit der Band vom Parkplatz hinter der Westkurve durch den Kabeltunnel ins Fritz-Walter-Stadion schritt, um das Palzlied live aufzuführen. Das war selbst für seine Verhältnisse heftig, denn Merz leidet auch nach über 25 Jahren Bühnenerfahrung noch unter permanenter Auftrittsangst, egal, wo er vors Mikro tritt.

Und die anschließende Premierenfeier muss ebenfalls heftig gewesen sein, denn er weiß nur noch, wie er aussah, als er am Montag danach wieder zur Arbeit kam - "wie ebbes, was die Katz häämbrocht hott." Und dass er noch bis Mittwoch ein Grinsen im Gesicht hatte, das die Kollegen glauben ließ, er "hättse jetz endgültich nimmi all". Dass das Heimspiel gegen Borussia Dortmund II mit 1:3 verloren gegangen war, hatte er erfolgreich verdrängt.

Natürlich: Auch in anderen Klubs stimmen sich die Fans mit eigens für sie geschriebenen "Power-Hymnen" auf ein anstehendes Heimspiel ein. Doch die Texte handeln in der Regel davon, dass der eigene Verein der größte, schönste, beste und einzigartigste überhaupt ist, oder einfach nur "forever number one". Das Palzlied ist anders. Im Refrain wird sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es durchaus auch "onnerschtwu" ganz schön sein kann. Und es dreht sich noch nicht einmal um Fußball. Sondern um besondere Momente, gerade auch stille, andächtige: um den Zauber aufsteigenden Nebels an einem Herbsttag, um das Erlebnis, barfuß über eine Wiese zu rennen oder von der Selbsterfahrung, nur unter einem Baum zu liegen und zu träumen. Augenblicke, die für de Edsel eben typisch pfälzisch sind. Und mit denen er, ganz wichtig, auch ausdrücken will: "Mir wolle uns iwwer nimmand erhebe, nur sinn, wie mer sinn."

Eine Liebeserklärung an die Pfalz, vorgetragen mit angenehmen Understatement. Und gerade deswegen der ideale Soundtrack für den FCK der Saison 2022/23. In der der Verein seine Rückkehr in die Zweite Liga feiert, die er "in Demut" begehen will. So hat Geschäftsführer Thomas Hengen es vergangenen Sommer vorgegeben und so leben es auch die Fans nach wie vor, trotz Platz 4 nach der Hinrunde.

Entstanden aus "Häämweh"

Dabei ist das Palzlied schon so alt wie "Anonyme Giddarischde" selbst, über ein Vierteljahrhundert. Und wie ist es entstanden? Da muss de Edsel keine Sekunde überlegen: "aus Häämweh". Er sei in den Neunzigern als Konstrukteur manchmal über mehrere Wochen auf Baustellen in ganz Deutschland unterwegs gewesen - "und wennde am Wochenend in Thüringe hocksch, während in de Palz die Woifäschte tobe, dess is hart." Schreiben ließ sich dieser Text allerdings nicht auf den Baustellen.

Die Anonyme Giddarischde
Foto: Die Anonyme Giddarischde

Drum nahm er sein "Häämweh" mit nach Hause, nach Frankenthal, in die Vierlingstraße, in der er damals wohnte, und setzte sich an den Küchentisch, an dem alle frühen Texte der "Anonymen Giddarischde" entstanden. Erstmals vertont wurde das Palzlied kurz darauf im "Nagel-Studio". So hat die Band den Proberaum von Roman Nagel getauft, der gemeinsam mit Merz und Michael Lange das Gründertrio der Giddarischde bildet, die heute als fünf- bis sechsköpfige Formation aufspielt. Michael Lange hat sich mittlerweile zurückgezogen, komplettiert werden de Edsel und Roman Nagel nunmehr von Joachim Kaul, Jochen Magin, Michael Schleifer und Stefan Brod.

Kennengelernt hatten sich die drei Gründerväter bei einem Gitarrenkurs im Haus der Jugend, 1995 war das. Zu dessen Abschluss stand ein Kurs-Konzert an, zu dem jeder Teilnehmer mal rauf auf die Bühne sollte - "unn weil sich kääner von uns allää do hochgetraut hätt, hammer halt zu dritt gespielt." Bei einem Südfrankreich-Trip mit anderen Musikern sei das Trio noch stärker zusammengewachsen. Und kam auf die Idee, mal gemeinsame Live-Auftritten zu riskieren - und dabei in Mundart zu singen. "Fer uns als Pälzer war dess eichentlich selbstverständlich", erzählt Merz. Doch von den Medien seien sie damit erst einmal in die Schublade zu den Dicke-Backen-Volksmusikern gesteckt worden.

Heimatdichter Tremmel sorgte für Popularitäts-Boost

In der Umgebung jedoch fand gerade ein junges Publikum schnell Gefallen an dem ungewöhnlichen Giddarischde-Sound, der bisweilen wie John Denver "uff pälzisch" klingt. Die Band spielte in Kneipen, auf Geburtstagen, auf Volks- und Feuerwehrfesten. Und hatte immer im Repertoire: das Palzlied.

Für einen Popularitäts-Boost sorgte der bekannte pfälzische Heimatdichter Paul Tremmel. Der ließ die Giddarischde zur Feier seines 75. Geburtstags an seinem damaligen Wohnort Forst aufspielen. Anschließend vermittelte er ihnen einen Auftritt beim Literarischen Frühschoppen in Bad Dürkheim, was der Band wiederum ein Engagement auf dem Dürkheimer Wurstmarkt bescherte, wo es richtig zur Sache ging - schon nach zehn Minuten hätten an den Ständen die Weinvorräte neu aufgefüllt werden müssen, erinnert sich de Edsel. Danach konnten die Giddarischde beginnen, auch die Westpfalz zu erobern. Die Sickinger Höhe oder das Landstuhler Bruch habe er dadurch erst so richtig kennengelernt - "und dess hott mich nochmol tiefer mit unserm Land verwurzelt."

Warum nur Lady Gaga und "so Ferz"?

Parallel wurde das Palzlied auch in der Fanszene des FCK immer öfter gefordert. "Wieso läuft bei uns eigentlich keine pfälzische Musik?", fragte DBB-User "maxsz" etwa schon im Jahr 2010. Die passe doch wesentlich besser als "Lady Gaga oder so Ferz". Und er schlug unter anderem das Palzlied fürs musikalische Begleitprogramm vor. Dass solche Wünsche im Betze-Umfeld geäußert wurde, habe auch er am Rande mitbekommen, sagt de Edsel. Ebenso sei ihm zu Ohren gekommen, wie dem Palzlied ein immer prominenterer Platz im Ablauf gewährt wurde. Dass es aber einmal als Einlaufmelodie zu hören sein würde, habe er nie zu träumen gewagt. Mittlerweile geht die Symbiose so weit, dass eine zusätzliche FCK-Strophe gedichtet wurde, von Anhänger Thomas Schmidt, der diese beim Jubiläum des Fanclubs "Höllenfeuer Contwig" sogar live mit der Band zum Besten geben durfte:

"Warsch Du ämol uffem Betze, beim'e Spiel vum FCK?
Bisch Du ämol mit de Lautrer zum'e Auswärtsspiel gefahr?
Mit de Weschtkurv 'Never walk alone' un's Betze-Lied gesung?
Bei Fritz-Walter-Wetter Bayern die drei Punkte abgerung?"

Von dem Live-Auftritt gegen Dortmund abgesehen, war de Edsel selbst allerdings noch nie im Fritz-Walter-Stadion, wenn das Palzlied gesungen wird. Bandmitglied Jochen Magin aber habe eine Dauerkarte, der erzähle ihm schon, wie's war. De Edsel war bis in die späten Achtziger regelmäßig Gast auf dem Betze, stand im "Studentenblock 11". Dann aber kam die erste Heirat, ein Hausbau - und die Musik. "Und die ist die eifersüchtigste Geliebte, die es gibt auf der Welt." Auftritt und Betze-Besuch an einem Wochenende, das haut bei ihm einfach nicht hin. Er kann sich aber noch gut an den 15. Juni 1991 erinnern. Da machte er sich gerade für einen Auftritt fertig, als plötzlich Kirchenglocken zu läuten begannen - "do hott de Betze 6:2 in Köln gewonne und war Deidscher Määschter geworre."

Musik ist auch Medizin

Davon abgesehen braucht de Edsel Musik auch als Medizin. Als Betriebsratsvorsitzender eines kriselnden Großkonzerns kämpft er Woche für Woche um Arbeitsplätze, das reibt auf, macht manchmal sogar krank. Aber samstags und sonntags Musik zu machen für Menschen, die so denken und fühlen wie er, "das laad mer de Akku jedes Mol widder uff." Sogar sein Hausarzt habe ihm dringend empfohlen, ja nicht damit aufzuhören, und das hat er sobald auch nicht vor. 58 ist schließlich kein Alter.

Den Menschen mit seiner Musik nahe zu sein - das sei doch das Höchste für einen Musiker. Uffem Betze hat de Edsel dies im großen Rahmen gespürt, im kleinen fühlt es sich fast noch intensiver an. "Mir hawwe mol uff ner Hochzeit es Palzlied gespielt, do hott die Braut so geflennt, dass se hinnerher nei geschminkt werre musst." Auch auf einer Palliativstation habe die Band schon einmal das Palzlied angestimmt, "weil's die Oma noch ä letzschtes Mol hääre wollt." Das seien Momente, "die lehre dir Demut". Womit wir wieder beim FCK wären. Auch für den blieben die Band und er jederzeit bereit: "Weil de Betze zu de Palz geheert wie die Pälzer Grummbeere - unn die Anonyme Giddarischde."

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

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