Taktik-Nachlese zum Spiel FCSP-FCK

Die DBB-Analyse: Kein Herz auf St. Pauli

Die DBB-Analyse: Kein Herz auf St. Pauli

Foto: Daniel Krämer

Der 1. FC Kaiserslautern kassiert beim FC St. Pauli die erste Auswärtsniederlage, weil er sich zu früh zu weit nach hinten drängen lässt. Da helfen auch Dirk Schusters Korrekturen nicht, und die Schlussoffensive ist zu kurz.

Ein verdienter Sieg der Gastgeber, so hallt es am heutigen Montagmorgen ziemlich unisono durch die Medien. Aber war es nicht vielleicht doch nur ein einziger großer Moment, der St. Pauli das 1:0 über Kaiserslautern bescherte? Dieser geniale Pass von Eric Smith in die Schnittstelle der Lautrer Fünferkette, exakt getimt zwischen dem linken Innenverteidiger und dem linken Außenverteidiger, wobei Smith zuvor sogar noch geradezu demonstrativ in eine andere Richtung geschaut hatte? Und dann der tolle Abschluss von Connor Metcalfe, der von der rechten Seite im richtigen Moment in die Mitte startet und das Leder erst gar nicht annimmt, sondern direkt an Keeper Andreas Luthe vorbeischlenzt?

Ausgerechnet Metcalfe, der bis dahin der unauffälligere der beiden Hamburger Flügelstürmer war, Oladapo Afolayan auf der anderen Seite hatte ungleich mehr Betrieb gemacht. Aber eben auch das ist Fußball. Aber sonst? St. Pauli war dominant, natürlich, verzeichnete 69 Prozent Ballbesitz, aber gerade, was diesen Wert angeht, haben wir schon öfter festgestellt, dass dieser über das Leistungsniveau der Lautrer nicht viel aussagt.

Kaum zu glauben: FCK nach "xGoals" sogar vorne

Der FCK hat eigentlich immer weniger Ballbesitz als der Gegner, verzeichnet aber dennoch meistens mehr Tor-Aktionen als dieser. Was die "xGoals" sogar auch nach diesem Spiel andeuten. "Wyscout" und "11tegen", aber auch die anderen Datenanbieter sehen den FCK tatsächlich leicht vorne. Ursächlich dafür sind die guten Möglichkeiten unmittelbar nach St. Paulis Führungstreffer. Erst strich Terrence Boyds Aufsetzer nach der Direktabnahme einer Flanke Kenny Redondos übers Tor, dann musste die Hamburger Hintermannschaft nach einer Ecke Jean Zimmers und einem Kopfball Nicolai Rapps einen Schuss des eingewechselten Tyger Lobinger von der Linie kratzen.

xG-Plot FCSP-FCK

Aber rechtfertigt diese Darstellung das Urteil, die Lautrer Niederlage sei "unglücklich" gewesen? Wir meinen: Tun sie nicht. Denn bei Ballbesitz kommt es drauf an, wo auf dem Feld der Gegner diesen zelebrieren darf. Der Hamburger SV etwa verzeichnete bei seinem 1:1 gegen FCK im Oktober 67 Prozent Ballbesitz, hatte diesen aber vornehmlich in der eigenen Hälfte. Über lange Phasen des Spiels kam der damalige Tabellenführer nicht mal annähernd in Tornähe. Dass er mit dem Remis am Ende dennoch nicht zufrieden sein durfte, hatte andere Gründe.

Es begann gar nicht mal soo schlecht

Gegen St. Pauli dagegen befand sich der Ball permanent in der Hälfte der Schuster-Elf, oft rotierte er um den Strafraum herum. Auf Dauer kann dann nämlich auch mal so ein Schussversuch wie der Leat Paraqadas in der 52. Minute einschlagen. Der linke Außenbahnspieler zog aus rund 20 Metern ab, und von Kevin Kraus prallte das Leder so fies weg, dass es Luthe um ein Haar auf dem falschen Fuß erwischt hätte. In der "xGoals"-Timeline verursachen Aktionen wie diese jedoch nur geringe Ausschläge. Drum ist diese Statistik in diesem Fall nur bedingt aussagekräftig.

Wie so oft, wenn seine Mannschaft nicht so richtig ins Spiel kommt, versuchte FCK-Trainer Schuster sein Team mit diversen Umstellungen wieder auf Kurs zu bringen. Diesmal sogar früher als sonst. Dabei hatte die erste Viertelstunde gar nicht mal so schlecht ausgesehen. Der Coach hatte wieder einer Startelf ohne die Kreativspieler Marlon Ritter und Philipp Klement vertraut. Für den gelbgesperrten Boris Tomiak hatte er Rapp als Sechser nominiert, für den angeschlagenen Hendrick Zuck Erik Durm als linken Verteidiger.

St. Pauli hatte den komplexeren Matchplan

In diesen ersten Minuten war auch noch nicht abzusehen, dass der Matchplan der Roten Teufel weniger erfolgversprechend war als der ihrer Gastgeber, auch wenn er wesentlich einfacher gestrickt war. Boyd gelang es ein, zwei Mal, vertikale Zuspiele zu behaupten und auf die Außen der 4-2-3-1-Formation abzulegen.

FCSP-Coach Jens Hürzeler hatte das 3-4-3 seiner Elf komplexer angelegt. Die Flügelstürmer zogen ständig in die Mitte und versuchten, die gegnerischen Außenverteidiger mitzuziehen, so dass sich auf den Außenpositionen die aufrückenden Schienenspieler Manolis Saliakas und Paraquada für Anspiele anboten. Der Zentrumsstürmer Lukas Daschner pendelte unentwegt in den Zehnerraum aus und machte so nicht nur seinen Flügelspielern Platz, sondern auch den immer mal vorstoßenden Mittelfeldspieler Jackson Irvine und Marcel Hartel.

Es dauerte zwar bis zur 44. Minute, ehe sich St. Pauli die erste fette Großchance bot - Saliakas steckte auf Afolayan durch, der sich halbrechts in den Strafraum geschmuggelt und in den Rückraum flankte. Hartels Kopfball strich nur knapp über die Latte.

Schuster reagiert, stellt auf Dreierkette um

Schuster musste aber schon nach nicht einmal einer halben Stunde geschwant haben, dass es für sie Jungs nicht mehr lange gut gehen konnte. Denn nach der ordentlichen ersten Viertelstunde, in der seine Elf situativ sogar auch ins Angriffspressing gegangen war, ließen sich die Betze-Buben immer stärker zurückdrängen. Diese "Wysout"-Visualisierung der Aufstellungslinien über 90 Minuten zeigt es deutlich.

Durchschnittliche Aufstellungslinie FCSP-FCK

Der FCK-Trainer stellte daraufhin auf eine Dreierkette um, zunächst ohne zu wechseln, worauf sich einige Spieler aus der Startelf auf für sie ungewohnten Positionen wiederfanden. Durm rückte auf die rechte Innenverteidiger-Position und unterstützte fortan Zimmer gegen das starke Pärchen Afolayan/Paraqada, Redondo übernahm den Part des linken Schienenspielers, der eine defensivere Orientierung erfordert, die ihm nicht unbedingt liegt.

In der Fünferkette gelang das Übernehmen der einrückenden Flügelstürmer nun besser, die neuen Formation rückte auch wieder stärker auf - siehe Grafik oben - aber: nach vorne gelang den Gästen wenig bis gar nichts. Ein aus spitzem Winkel abgegebener Schussversuch von Aaron Opoku blieb bis zur Pause Lauterns einziges offensives Lebenszeichen. Wir erinnern uns: Vor Wochenfrist, beim 2:1 gegen Kiel, waren die starken Flügelpärchen der Schlüssel zum Erfolg. Von denen war diesmal kaum was zu sehen.

Halbzeit: Ritter kommt, doch nach vorne läuft weiterhin nichts

In der Pause passte Schuster sein Personal dann seiner neuen Grundordnung an. Ritter kam für Daniel Hanslik und gesellte sich im zentralen Mittelfeld neben Julian Niehues, Rapp übernahm die rechte Innenverteidigerpostion und Durm kehrte auf die linke Seite zurück.

Damit spiegelte der FCK auf dem Papier das 3-4-3 seiner Gastgeber, an den unterschiedlichen Spielanlagen aber änderte sich nichts. Auch nichts daran, dass bei den diesmal ganz in weiß angetretenen "Männern in Rot" weiterhin nichts nach vorne ging. Die Flügel blieben schwach, und Boyd wurde wechselweise und unerbittlich von Karol Mets und Irvine bekämpft. Wie stark, belegt diese "Wsycout"-Übersicht über die geführten Duelle.

Zweikampf-Duelle FCSP-FCK

Wir sehen: Keiner musste so oft in den Clinch wie Boyd, fast immer jedoch behielten Mets und Irvine die Oberhand. Zufrieden sein kann dagegen Rapp, der früh Gelb sah und schon Mitte der ersten Hälfte am Rande eines Platzverweises stand: Seine Zweikampfbilanz gestaltet sich unterm Strich dennoch positiv. Auch Zimmer beharkte den starken Afolayan unterm Strich durchaus erfolgreich.

Nach dem Rückstand plötzlich gefährlich: warum?

Der Führungstreffer St. Paulis mutete dann in der Tat so an, wie er auch von diversen TV-Kommentatoren begrüßt wurde: überfällig. Auch wenn ihm, wie bereits verdeutlicht, gar nicht so viele Großchancen der Gastgeber vorausgegangen waren.

Weshalb die Betze-Buben in der verbleibenden Viertelstunde plötzlich doch noch aufdrehen und wenigstens zwei, drei Mal gefährlich werden konnten? Das mag zum einen an den Einwechslungen gelegen haben: Ben Zolinski trieb es mehr nach vorne als sein Vorgänger Niehues, einmal verpasste er beim Sprint in die Spitze ein steiles Zuspiel Zimmers nur knapp. Philipp Hercher und Lobinger gingen beherzter zur Sache als zuvor Opoku und Redondo. Nicolas de Préville allerdings vermochte sich nicht weiter in Szene zu setzen, dem Winter-Neuzugang blieben für sein Debüt im FCK-Dress aber auch nur knappe zehn Minuten Zeit.

Zum anderen aber drängte sich der Verdacht auf, dass dieses FCK-Team so einen Hallo-Wach-Effekt in Form eines Gegentreffers einfach braucht. Oft genug in dieser Saison fielen diese schon in der ersten Hälfte, so dass noch eine komplette zweite Halbzeit zur Verfügung stand, um aufzudrehen. Diesmal blieb nur wenig mehr als eine Viertelstunde. Das war zu wenig, um noch zu einem "verdienten" Ausgleich zu kommen.

Gegen Paderborn gilt: Ball weiter vorm Tor weghalten

Die erste Auswärtsniederlage dieser Saison muss keinen Beinbruch bedeuten. Allerdings gilt es, vor dem Freitagsspiel gegen SC Paderborn die richtigen Lehren zu ziehen, sonst droht direkt die nächste Schlappe, da dieser Gegner nochmal um einiges spielstärker ist als der FC St. Pauli. Und noch einige Rochaden mehr in petto hat, wenn man ihn zu arglos um den Strafraum herum aufspielen lässt. Da wird es nicht nur darum gehen, "mehr körperliche Präsenz und Dominanz" zu zeigen, wie Dirk Schuster anmahnte, sondern auch darum, den Ball insgesamt weiter vom eigenen Tor wegzuhalten.

Fehlen noch die Positions- und Passgrafiken. Die vom FCK offenbart die gesamte spielerische Armut, die die Elf am Millerntor vorführte. Keine Linie zwischen Opoku und Zimmer, keine zwischen Boyd und Opoku, keine zwischen den zentralen Mittelfeldspielern untereinander und, und, und.

Passmap FCK

Da sieht die von St. Pauli um einiges besser aus. Vor allem zeigt sie, wie stark die linke Seite der Kicker vom Kiez ist.

Passmap FCSP

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2022/23: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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