Taktik-Nachlese zum Spiel FCK-FCH

Die DBB-Analyse: Geil, geiler, Betzenberg

Die DBB-Analyse: Geil, geiler, Betzenberg


Ist am Samstagabend irgendjemand zuhause geblieben, weil er lieber einen als "Clasico" etikettierten Kick sehen wollte statt Lautern live? Selbst schuld. Ein brennender Betze fühlt sich nun mal ungleich echter an als großkotziges PR-Branding.

Schon klar: In einer Spielanalyse Hätte-wenn-und-aber-Fragen zu diskutieren, ist müßig. Erst recht nach so einem Irrsinnsspiel. Doch dieses eine Mal sei es gestattet: Was wäre heute in den Medien los, in den sozialen wie den "asozialen", hätte Tim Kleindienst seinen 1. FC Heidenheim mit seinem Elfmeter in der 90. Minute mit 3:0 in Führung geschossen - und damit die fünfte Niederlage des 1. FC Kaiserslautern in den vergangenen acht Spielen besiegelt? Hätte dann noch irgendjemand einer Analyse folgen wollen, die diese höchste Niederlage von allen zur unverdientesten von allen erklärt hätte? Und die den Standpunkt vertreten hätte, dass Dirk Schusters Matchplan wieder mal im Grunde gut durchdacht war, ihm aber leider zum wiederholten Male der Erfolg versagt blieb?

Schon allein dafür gebührt der Mannschaft Dank. Dass sie sich nach zwei herben Niederschlägen wieder mal an den Ringseilen hochzog wie weiland Rocky - und ihrem Publikum die wahnsinnigsten vier Minuten dieser Saison bescherte. Jetzt können wir das alles genau so schreiben, ohne einen allzu heftigen "Shitstorm" zu riskieren.

Eigentlich keine Überraschung mehr: Schuster überrascht

In unseren Vorberichten können wir so viel spekulieren, wie wir wollen, was Dirk Schuster sich fürs kommende Spiel einfallen lassen könnte: Er wird uns immer wieder überraschen. Hendrick Zuck und der nach DBB-Informationen leicht angeschlagene Philipp Klement starteten diesmal von der Bank, wer hätte das gedacht. Marlon Ritter dagegen war so offensiv aufgestellt wie noch nie zuvor unter Schuster: Im Spiel gegen den Ball schob er sich in die Spitze neben Terrence Boyd, sodass der FCK seinen Gegner in einem lupenreinen 4-4-2 erwartete.

Im defensiven Mittelfeld präsentierte sich mit Boris Tomiak und Nicolai Rapp ein robustes Sechser-Pärchen, wobei einmal mehr die spielerische Entwicklung Tomiaks verblüffte. Zum Abpfiff verzeichnete der gelernte Innenverteidiger eine Passquote von 87,1 Prozent (Quelle: Sofascore). Damit übertraf er sogar seinen als technisch versierter geltenden Nebenmann um Längen.

Und auf dem linken Flügel durfte wieder mal der taktisch smarte Dauerläufer Daniel Hanslik von Beginn an ran. Okay, das mag daran gelegen haben, dass mit Philipp Hercher und Kenny Redondo die spektakuläreren Alternativen gegenwärtig nicht fit genug für die Startelf sind. Hercher saß nur auf der Bank, Redondo fehlte ganz. Aber sonst? Was könnte sich Schuster mit dieser Formation gedacht haben?

Ungewohnt für Heidenheim: Kaum Torszenen, xG-Tiefstwert

Spätestens zum Pausenpfiff ließ diese Frage sich bereits beantworten. In dieser Konstellation bekamen die Roten Teufel sowohl das Zentrum als auch die Außenbahnen dicht - und mit Ritter in vorderster Linie attackierten sie nicht unbedingt früher, aber doch aggressiver. Die stärkste Offensive der Liga - bislang 51 Tore bei einem durchschnittlichen xG-Wert von 1,78 (Quelle: Wyscout) - verzeichnete nach 45 Minuten keinen Treffer und einen xGoals-Wert von 0,14. Der dürfte fürs Team von Frank Schmidt den Tiefstwert dieser Saison markieren.

Das Sechser-Duo Rapp/Tomiak funktionierte wie erwartet, doch auch die Flügelpärchen Erik Durm/Hanslik sowie Jean Zimmer/Aaron Opoku leisteten Bemerkenswertes. Sowohl in der Defensive, wo Zimmer mit Heidenheims Flügel-Ass Jan-Niklas Beste schnell die Art von Männerfreundschaft schloss, die sich immerfort in kleinen Remplern und Ellbogen-Knuffs äußerte - Zweitliga-Fußball ist nun mal nix für Weicheier. Die Außenbahn-Bediensteten zeichneten zudem auch für die wenigen vielversprechenden Offensivaktionen des Gastgebers in der ersten Hälfte verantwortlich.

Lautern im Vorwärtsgang: Nicht viel, aber vielversprechend

Schon nach drei Minuten knoddelten Boyd und Ritter einen weiten Abstoß Andreas Luthes auf die linke Seite zu Opoku durch, der sich dort schön durchsetzte, dessen Schussversuch dann aber eher zur Rückgabe geriet. Und ein über Kevin Kraus aus der Abwehr schön vorgetragener Angriff über Zimmer und Opoku führte zu einer Direktabnahme Durms aus halblinker Position im Sechzehner, die am Außennetz landete. Zwei, drei Mal glückten auch frühe Ballgewinne gegen die FCH-Hintermannschaft. Allerdings spielten Boyd und Co. die anschließenden Umschaltmomente nicht optimal aus.

Somit durften die Pfälzer mit dem Gefühl in die Kabine gehen, dass ihr Gegner verwundbar war. Zur Erinnerung: Der war seit sechs Spielen ungeschlagen, hatte vier davon gewonnen und dabei 16 Treffer erzielt.

Und tatsächlich: Mit dem neu gewonnenen Selbstvertrauen im Rücken wirkten die Roten Teufel anschließend einen Tick mutiger, schienen entschlossen, nun sogar die Initiative zu übernehmen. Direkt nach Wiederanpfiff schoss Opuku einen Freistoß FCH-Keeper Kevin Müller in die Arme, danach versuchte er es aus spitzem Winkel mit der Direktabnahme einer Rapp-Flanke von rechts.

Doch auch Frank Schmidt hatte nach der unbefriedigenden ersten Hälfte des Tabellenzweiten reagiert. Mit Stefan Schimmer für Kevin Sessa schickte er einen zweiten Stürmer ins Rennen. Dadurch sollte das Spiel seiner Elf direkter nach vorne führen. In Hälfte eins war ihm zu sehr in die Breite gespielt worden. Außerdem zog Schmidt Beste auf die rechte Seite. Auch auf der Gegenseite tauschten Hanslik und Opoku vorübergehend die Flügel.

Nach 53 Minuten: Der erste Niederschlag, hart und unvermittelt

Nach 53 Minuten wurde der Lautrer Vorwärtsdrang jedoch jäh gedämpft. Ausgangspunkt war ausgerechnet der Ex-Lautrer, der schon im dritten Jahr in Heidenheimer Diensten steht, aber erst in dieser Rückrunde richtig aufblüht: Florian Pick dribbelte von der rechten Seite in die Mitte, bis ihn ausgerechnet ein Mitspieler vom Ball trennte: Tim Kleindienst, der Torjäger vom Dienst, trat aus 17 Metern gegen das Leder, und das mit der trockenen Coolness, die einen Stürmer auszeichnet, der derzeit im Bewusstsein lebt, einfach nicht vorbeischießen zu können. Und in der Tat: Das Ding schlug ein. Der erste vernünftige Torschuss der Gäste. Kleindiensts 20. Saisontreffer.

Das war schwer zu schlucken für die im Rahmen ihrer Möglichkeiten bislang gut aufgetretenen Männer in Rot. Und zeigte dementsprechend Wirkung. So richtig Wucht wollte sich nicht einstellen in den Aktionen, mit denen sie diesen Rückschlag beantworten wollten. Genauigkeit noch weniger. Hercher kam für Hanslik und traf das rechte Außennetz. Klement kam für Rapp, übernahm aber nicht seine angestammte Zehner-Position, sondern baute wie sein Vorgänger aus der Tiefe auf. Ritter behielt seine offensive Position.

Nach 75 Minuten: Der zweite Niederschlag - ausgerechnet Pick

Und dann, als die Betze-Buben ohnehin langsam zu konsternieren schienen, der nächste Schlag auf die Zwölf. Pick mit einem ganz unvermittelten und ganz krummen Geschoss von der rechten Strafraumgrenze, das sich über Luthe hinweg ins lange Eck drehte. Schuster nannte es hinterher "Sonntagsschuss", Schmidt "Traumtor", beides stimmt wohl, auf jeden Fall war es genau so gewollt. Deutlich anzuerkennen ist Picks Verhalten danach. Er versagte sich in seiner alten Heimat jeden Jubel. Guter Junge.

Danach mobilisierte der FCK-Trainer sein letztes Offensiv-Aufgebot: Zuck für Durm, Tyger Lobinger für Boyd und Nicolas de Préville für Ritter. Noch waren an regulärer Spielzeit elf Minuten Zeit. Lautern versuchte sich aufzubäumen, ehrlich bemüht, im Ertrag aber bescheiden. Lobinger verpasste am langen Eck eine Kopfball-Verlängerung, sonst war da nicht viel.

Ein verschossener Elfer als "Initialzündung"

Und dann kam es zu der Szene, mit der der FCH den Sack eigentlich zumachen musste, daran aber scheiterte. Und so, da waren sich beide Trainer einig, eine "Initialzündung" für die verrückteste Nachspielzeit am Betze seit Jahren bescherte. Tomiak grätschte im Strafraum mehr in den eingewechselten Christian Kühlwetter als in den Ball, Schiedsrichter Robert Hartmann pfiff zurecht Elfmeter. Und Kleindienst musste feststellen, dass bei ihm zurzeit eben doch nicht jeder Schuss ein Treffer ist. Immerhin: Er schoss auch nicht vorbei. Sondern scheiterte am Pfosten.

Eben das brachte die 41.543 Zuschauer zurück ins Spiel. Und mit ihnen die FCK-Elf. Zuerst traf de Préville halblinks vom Strafraumeck mit einem herrlichen Schlenzer ins lange Toreck. Sein Debüt-Treffer in der Pfalz. Der nicht nur das Feuer für die weiteren Schlusssekunden weiter anheizte, sondern auch die Hoffnung, dass der Franzose nun so langsam mal - Achtung, Schuster-Formulierung - "genug Luft auf dem Reifen" hat, um seinem Publikum noch ein bisschen mehr seiner Fußballkunst zu bieten. Dann könnte das Saisonfinale auch noch ein Fest für Ästheten werden.

Der Joker sticht: Gestatten, sein Name ist Hercher. Philipp Hercher

Den Schlusspunkt setzte dann der Mann, der immer mehr zum Spezialisten für Joker-Tore zu werden scheint: Philipp Hercher, bei dem es wegen diverser Blessuren in dieser Saison bislang erst mit sechs Startelf-Einsätzen geklappt hat, erzielte seinen nunmehr dritten Rückrundentreffer, nachdem er von der Bank kam. Schon beim 3:1-Sieg in Hannover netzte er in der Nachspielzeit, diesmal machte er unmittelbar vor dem Abpfiff den Betzenberg zum Tollhaus. Vorausgegangen war eine Rechtsflanke Tomiaks, die der aufgerückte Kraus dem Joker auflegte.

Ein Happy End, dem sich, obwohl Leidtragender, nicht mal der Gäste-Coach verschließen wollte. Obwohl er jedes Recht gehabt hätte zu hadern, nach 2:0-Führung und verschossenem Elfmeter. "Dass ist doch der Grund, weswegen die Leute ins Stadion gehen - dass so etwas passieren kann", kommentierte Schmidt.

Die Zweikampfbilanz überzeugt - Zimmer Sieger gegen Beste

Zu den Statistiken. Heidenheim gewinnt bei "11tegen11" und "Wyscout" mit 1.23 : 0,86 nach xGoals, bei den Anbietern, die "Opta"-Daten beziehen, mit 1,36 : 0,64. Liegt in allen Fällen in erster Linie daran, dass der Elfer allein einen Wert von 0,75 verursacht. Die Lautrer dürfen schon für sich in Anspruch nehmen, gegen diese Heidenheimer so wenig zugelassen zu haben wie nur wenige Mannschaften vor ihnen.

xG-Plot FCM-Heidenheim

Bei der Position- und Passgrafik irritiert die Position des Opoku-Spots. Liegt daran, dass er öfter die Seiten wechselte und die Computer-Software dann eine mittlere Position visualisiert, die er so eigentlich nicht ausgefüllt hat. Gut zu sehen: Die hohe Position Ritters. Mal sehen, ob er diese Rolle auch weiter ausfüllen wird.

Passmap FCK

Zum Vergleich die Positions- und Passgrafik der Heidenheimer. Dokumentiert unter anderem die zentrale Rolle, die Lennard Maloney im FCH-Spiel ausfüllte. Dass er in der 87. Minute verletzt raus musste, wertete Frank Schmidt denn auch als weiteren Grund, dass Lautern in der Schlussphase nochmal so erfolgreich sein konnte. Kann man angesichts dieser Grafik ein bisschen verstehen.

Passmap Heidenheim

Weil die Zweikampfbilanz vor Wochenfrist so deprimierend, hier nun die Timeline der gewonnen Zweikämpfe dieses Spiels. Die sieht schon anders aus.


Quote gewonnener Zweikämpfe FCK-Heidenheim

Zu guter Letzt die Überkreuz-Grafik der geführten Duelle. Imposant, wie oft und gegen wen alles Kleindienst in den Clinch musste. Das schlägt sogar die Rumble-Quote von Boyd. Und Zimmer hat den starken Beste, solange dieser auf seiner Seite spielte, absolut wirkungsvoll bekämpft. Wäre schön, wenn dies auch mal von seinen Kritikern anerkannt und wenigstens die unverschämtesten Kommentare, die im Netz so gegen ihn abgeledert werden, sich ein wenig minimieren würden.

Zweikampf-Duelle FCK-Heidenheim

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2022/23: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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