Im Blickpunkt

Der Trainer-Effekt: Mythos oder Wirklichkeit?

Der Trainer-Effekt: Mythos oder Wirklichkeit?

Foto: Imago Images

Weite Teile der FCK-nahen Lokalpresse sowie Fachmedien sind sich einig: Der beim Wechsel von Dirk Schuster zu Dimitrios Grammozis erhoffte "Trainer-Effekt" ist verpufft. Doch gibt's den überhaupt? Eric Scherer hat mal nachgeforscht.

Dirk Schuster hatte in der Liga zuletzt fünf Niederlagen in sechs Partien eingefahren. Mit Dimitrios Grammozis sind zum Jahresende zwei weitere hinzugekommen. Der 1. FC Kaiserslautern steht nun auf Platz 15. Akute Abstiegsgefahr, Alarmstufe Rot. Der Wechsel hat also nichts gebracht. Dass der neue Coach von den drei Pflichtspielen, die er innerhalb von knapp zehn Tagen zu bestreiten hatte, eins gewonnen hat - im DFB-Pokal gegen 1. FC Nürnberg, also immerhin gegen einen "auf Augenhöhe" anzusiedelnden Zweitliga-Konkurrenten -, hat in dieser Bewertung offenbar nichts zu suchen. Der "Trainer-Effekt", der mit einem solchen Wechsel hätte einhergehen müssen, ist nicht eingetreten. So sehen es Teile der regionalen Medien, diverse Blogger und Vlogger sowie die - ob anerkannte oder selbsternannte, sei dahingestellt - Fachpresse.

Der Trainer-Effekt also. Dass er existiert, wird im Fußball in ähnlicher Weise als selbstverständlich angesehen wie die Wiedergeburt der menschlichen Seele für die rund 500 Millionen Buddhisten auf der Welt. So richtig beweisen lässt sich allerdings beides nicht. Doch selbst der nunmehr selige Franz Beckenbauer hat mal geäußert, an Reinkarnation zu glauben, wie gerade verschiedenen Nachrufen zu entnehmen ist. Drum dürfen alle werdenden Väter und Mütter dieser Welt nun hoffen, dass des Kaisers überragendes Talent in ihren noch ungeborenen Stammhalter fährt.

Der Trainer-Effekt in der Theorie

Dennoch sei mal die Frage erlaubt: Woran genau ist ein Trainer-Effekt denn zu erkennen? Und innerhalb welchen Zeitraums nach einem Wechsel hat er sich in Ergebnissen niederzuschlagen? In der Theorie ist die Sache natürlich klar - da sind sich Fußballer, Fans und promovierte Sportpsychologen einig.

Nach einem Trainerwechsel werden im Profikader "die Karten neu gemischt", Rollen neu verteilt, bestehende Hierarchien aufgebrochen. So mancher Bankdrücker ist nun motiviert, sich wieder mehr ins Zeug zu legen, und übt so auch mehr Druck auf seine Teamkollegen aus. Und so kann es, na klar, zu einem kollektiven Leistungsschub kommen.

Und der Neue könnte ja auch ein besseres Händchen fürs Personal haben, über mehr Begeisterungsfähigkeit verfügen, also die Kunst der Motivation besser beherrschen. Klingt ebenfalls plausibel. Dass etwa ein Marco Antwerpen seinerzeit das FCK-Team besser zu packen wusste als seine Vorgänger Jeff Saibene und Boris Schommers, darf wohl zurecht angenommen werden. Aber selbst Antwerpen startete erstmal mit sechs Spielen, in denen er nur einen einzigen Sieg einfahren konnte.

Muss einem neuen Trainer nicht also auch erst einmal ein wenig Zeit zugestanden werden, sein neues Personal kennenzulernen, um es optimal einsetzen zu können. Müssen neue Ideen bezüglich Formation, Abläufen et cetera nicht erst im Training eingeschliffen, bevor ein "Trainer-Effekt" einsetzen kann? Und was die Bedeutung der Motivationskunst angeht - bei deren Bewertung sind selbst ausgewiesene Dampfplauderer im Lauf der Jahre zurückgerudert.

Die Sache mit der Motivationskunst

Der legendäre Grantler Max Merkel etwa wies noch zu seinen Lebzeiten darauf hin, dass flammende Kabinenansprachen, die eine Elf mit hängenden Köpfen wieder aufrichten und zum Sieg peitschen, eher eine Erfindung von Drehbuchautoren sind. Der als "Feuerwehrmann" berühmt gewordene Peter Neururer, der sich selbst gerne als "Verbalerotiker" bezeichnet, hat in stillen Stunden schon erzählt, dass die verhältnismäßig schnellen Ergebnisverbesserungen, die er mit kurzfristig übernommenen Teams erzielte, zu einem guten Teil auf erfolgreich ausgeführte Standardsituationen zurückzuführen sind, die seine Teams innerhalb weniger Tage in den Intensiv-Crash-Kursen perfektionierten, die er ihnen verabreichte.

Und selbst der als "Lautsprecher" gebrandmarkte Christoph Daum erklärte auf einer seiner letzten Trainerstationen in Frankfurt, dass es ihn nur noch nerve, immer nur als Zampano angesehen zu werden: Mannschaften zu verbessern, sei in erster Linie harte, handwerkliche Arbeit ... Demnach könnte sich ein "Trainer-Effekt" also so kurzfristig gar nicht einstellen. Auch wenn so mancher Coach das erste Spiel nach seinem Amtsantritt direkt gewonnen hat. Übrigens auch Grammozis.

Statistiken helfen nicht viel, Einzelfälle betrachten schon

Sportwissenschaftler haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mal versucht, dem "Trainer-Effekt" anhand von Zahlen, Daten und Fakten auf die Spur kommen. Und siehe da: Etwa die Hälfte der zum Teil über Jahrzehnte geführten Untersuchungen bestätigt, dass es einen Trainer-Effekt gibt. Die andere Hälfte allerdings entlarvt ihn mehr oder weniger als Wandersage. Statistiken sind halt wie Beton: Es kommt drauf an, was man daraus macht.

Betrachten wir daher einfach nur die nüchterne Realität in der Zweiten Liga. Von den vier Trainerwechseln der laufenden Saison hat sich bislang nur die Neuverpflichtung von Daniel Scherning in Braunschweig positiv ausgewirkt, der nach fünf Partien bereits drei Siege feiern durfte. Sein Vorgänger Jens Härtel hatte von zehn Partien nur eine gewonnen, weshalb der BTSV trotz der kleinen Serie vor der Winterpause immer noch hochgradig abstiegsgefährdet ist. Die Arbeit von Karel Geraerts auf Schalke, Uwe Koschinat in Osnabrück und eben Grammozis dagegen hat sich ergebnistechnisch noch kaum ausgewirkt.

Trainer-Effekt mit Verzögerung: Beispiel Rostock

In der vergangenen Saison übernahm Alois Schwartz am 26. Spieltag Hansa Rostock. Auf Abstiegsrang 17. Am Ende der Runde aber segelte die Kogge auf Platz 13 sicher in den rettenden Hafen. Ein Trainer-Effekt war da offenbar also gegeben. Aber: Eingestellt hatte er sich erst mit einer gewissen Verzögerung. Die ersten drei Partien unter Schwartz hatte Rostock allesamt verloren.

Vor seinem Rostock-Engagement war Schwartz in Sandhausen durch Tomas Oral ersetzt worden, der nach zwei Punkten in sechs Spielen direkt wieder gehen durfte. Also nix mit Trainer-Effekt. Ihm folgte Gerhard Kleppinger, der zwar etwas besser punktete als seine Vorgänger, den Abstieg der Sandhäuser aber nicht verhindern konnte. Ebensowenig wie Joe Enochs, der Mersad Selimbegovic in Regensburg beerbte. Er hatte allerdings auch nur noch drei Spiele Zeit. Uwe Koschinat wiederum übernahm in Bielefeld von Daniel Scherning - und stieg ebenfalls ab. Obwohl sein Start durchaus effektvoll war: zwei Siege, zwei Remis nach vier Partien.

Kurz erinnert sei an dieser Stelle auch nochmal an die Amtszeit Michael Frontzecks in Lautern im Jahr 2018. Zum Start neun Punkte in vier Spielen, doch dann ging‘s nur noch bergab. Augenscheinlich positive Trainer-Effekte können eben auch trügerisch sein.

Hürzeler und Zorniger: Trainer-Effekte mit Nachhall

Dass Teams nach einem Trainerwechsel so durch die Decke gehen wie der FC St. Pauli, ist und bleibt die Ausnahme. Timo Schultz waren in der gesamten Hinrunde 2022/23 nur drei Siege geglückt. In der Rückrunde gewann Nachfolger Fabian Hürzeler dann direkt zehn Mal hintereinander - ihm stand allerdings auch eine volle Wintervorbereitung mit seinem Team zur Verfügung. St. Pauli wurde bestes Team der vergangenen Halbserie und ist aktuell Tabellenzweiter. Ein Trainerwechsel, der also nicht nur Effekt hatte, sondern sich auch als nachhaltig erwies. Kommt ebenfalls sehr selten vor.

Zufrieden sein darf auch die Vereinsführung der SpVgg Fürth. Dort übernahm Alexander Zorniger das Team an Spieltag 14, als es auf Rang 18 stand. Gewann direkt drei Spiele, führte das Kleeblatt bis Saisonende auf Platz 12 und rangiert heuer auf Position 5. Auch hier: positiver Trainer-Effekt, der nachhallt.

Auch Verletzungen und Schiedsrichter-Entscheiden bewirken Effekte

Wobei in diesem Fall auch mal angemerkt werden muss: Dass die Fürther nach Abstieg und personellem Umbruch im ersten Saisondrittel nicht in Tritt kamen, ist nachvollziehbar, andere Absteiger sind schon viel tiefer gefallen. Ob das Team nicht auch unter Vorgänger Marc Schneider wieder zu Stabilität gefunden hätte? Lässt sich nunmal nicht beweisen.

Das Beispiel soll aber zeigen: Es kann auch Effekte geben, die ein neuer Trainer vielleicht gar nicht bewirkt hat, die ihm im Erfolgsfall aber zugeeignet werden. Dazu könnten etwa verletzte Leistungsträger zählen, die erst nach einem Trainerwechsel wieder zurückkehren. Stichwort Ragnar Ache. Ohne ihn hat Dimitrios Grammozis genauso wenig gewonnen wie Dirk Schuster, mit ihm dagegen immerhin gegen Nürnberg.

Oder aber, das Spielglück, das dem gefeuerten Coach gefehlt hat, stellt sich beim neuen wieder ein, getreu dem Motto: Glück und Pech gleichen sich im Lauf einer Saison aus. Gleiches lässt auch über 50:50-Entscheidungen von Schiedsrichtern sagen, die mal vermehrt und spielentscheidend gegen, dann wieder für ein Team gepfiffen werden können.

Noch ist gar nichts verpufft

Fazit: Ob sich tatsächlich irgendwo ein "Trainer-Effekt" eingestellt hat, lässt sich nur im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung beurteilen - und über einen längeren Zeitraum. Ob sich beim FCK noch ein Trainer-Effekt einstellt, ist nach drei Pflichtspielen noch nicht raus. "Verpufft" ist er jedenfalls noch nicht.

Richtig ist: Ein Katapultstart, der vielleicht hätte eine kleine Euphoriewelle auslösen können, ist ausgeblieben. Und, zugegeben: Was die Roten Teufel am Mittwoch im Testspiel, nach immerhin weiteren zehn Tagen Kennenlernen im Trainingslager, gegen Dynamo Dresden ablieferten, deutet nicht gerade darauf, dass sich ein Trainer-Effekt allzu bald einstellt. So richtig geurteilt werden darf aber erst ab dem 20. Januar, wenn es nacheinander in vier ausverkauften Knaller-Spielen gegen den FC St. Pauli, Schalke 04, Hertha BSC und die SV Elversberg geht.

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

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