Taktik-Nachlese zum Spiel KSV-FCK

Die DBB-Analyse: Der Tag der stillen Strategen

Die DBB-Analyse: Der Tag der stillen Strategen


Was für ein Paukenschlag! 3:1 bei So-gut-wie-Aufsteiger Holstein Kiel. Nun sieht's für den 1. FC Kaiserslautern wieder deutlich besser aus im Abstiegskampf. Aber: Paukenschlag? Möglich gemacht haben den Coup eher die Leisetreter im Team.

Gut, dass Fußballprofis vor einer Partie keine Zeit haben, nochmal ins Internet zu schauen. Was hätte Daniel Hanslik da lesen müssen über seine Starelf-Nominierung. Marlon Ritter und Richmond Tachie sitzen auf der Bank, aber Hanslik darf von Anfang an ran? Hanslik? Wann hat der denn das letzte Mal getroffen? So oder ähnlich lautete der Tenor der Kommentare.

Der 27-Jährige ist schon ein Phänomen. Manche nach dem Aufstieg zurückgekommene Fans konnten mit ihm nie so richtig was anfangen. Er hat nunmal nicht die Präsenz und Dynamik eines Marlon Ritter, nicht die Dribbelstärke eines Aaron Opoku, nicht die Schnelligkeit eines Richmond Tachie oder Kenny Redondo. Dabei würde der Verein ohne Hanslik heute vielleicht gar nicht um den Klassenerhalt in der 2. Bundesliga spielen. Im zweiten Relegationsspiel in Dresden erzielte er den für den Aufstieg entscheidenden Führungstreffer für den FCK. Aber auch schon ein Jahr vorher, 2021, bewahrte er mit sechs Treffern im Endspurt die Roten Teufel vorm Absturz in die Regionalliga. In Liga Zwei war bisher für Hanslik meist jedoch nur die Joker-Rolle vorgesehen, als Knipser ist der einstige Regionalliga-Torschützenkönig bisher nicht in Erscheinung getreten.

Für die Fans unauffällig, für die Trainer eine Bank

Schon die Trainer Marco Antwerpen und Dirk Schuster setzten immer wieder gerne auf den Nordhessen, schätzten seine Laufstärke, sein mannschaftsdienliches Auftreten und sein gutes taktisches Verständnis. Nur bei Dimitrios Grammozis kam er nicht so gut an: In den acht Pflichtspielen, die der Deutsch-Grieche die Lautrer betreute, kam Hanslik sechsmal gar nicht zum Zug.

Und unter Friedhelm Funkel? Stand er in nunmehr elf Pflichtspielen schon fünfmal in der Startelf. Der also weiß ihn wieder zu schätzen.

Die Antwort auf die rhetorisch gemeinte Frage lautet übrigens: Das letzte Mal getroffen hatte Hanslik am 19. Spieltag der vergangenen Saison, beim 2:1-Heimsieg gegen Holstein Kiel. Und gestern? Köpfte er nach 13 Minuten einen Eckball von Tymo Puchacz ins Netz, leitete damit den 3:1 Auswärtssieg seines Teams ein. Bei Holstein Kiel. Wo der FCK übrigens das letzte Mal 1953 gewonnen hatte.

Da hat Fritz Walter noch gespielt, und die Roten Teufel wurden am Ende dieser Saison Deutscher Meister. Zugegeben, danach gab es auch nur noch zwei FCK-Spiele an der Förde (eine Niederlage, ein Unentschieden). Mehr als diese historische Bedeutung zählen sowieso die drei Punkte, die sich die Urenkel des alten Fritz in der gegenwärtigen Tabellensituation gesichert haben. Mit denen nämlich sieht's vor den finalen drei Spieltagen für sie nun wieder richtig gut aus im Abstiegskampf der Zweiten Liga.

Personal- und Formationswechsel: Das "Teil des Problems" verblüfft

Für Trainer Funkel war's der dritte Sieg im zehnten Ligaspiel. Auch an ihm wurde zuletzt genörgelt, sogar als "Teil des Problems" ist er bezeichnet worden. Darauf hat Funkel nun seiner Art gemäß reagiert. Mit ruhiger Hand, neuer Grundordnung und Personalwechseln, die am Ende nachhaltiger ausfielen, als er es in der Pressekonferenz am Donnerstag noch angekündigt hatte. Erstmals in seiner Lautrer Amtszeit setzte der Coach auf eine Dreier-/Fünferkette in der Abwehr. Ritter, das war in der Tat ein Paukenschlag, musste auf die Bank. Als Zehner vor einer Vierer-Mittelfeldreihe nominierte er Kenny Redondo. Weshalb?

Vielleicht aufgrund von Trainingseindrücken, vielleicht aus der unter der Woche gewonnenen Überzeugung heraus, dass Redondo die taktische Aufgabe, die Funkel sich auf dieser Position wünschte, besser umsetzen würde. In der Tat präsentierte sich Redondo vor allem in der ersten Hälfte nicht nur als Mann hinter der Spitzen: Er war eher eine Art "Pressing Leader", der ständig zwischen den beiden Spitzen Hanslik und Ragnar Ache hindurch nach vorne marschierte, um die Kieler Hintermannschaft unter Druck zu setzen.

Denn der FCK attackierte im ersten Abschnitt sehr hoch, was auch die Gastgeber sichtlich beeindruckte. Wie hoch, dokumentiert diese "Wyscout"-Grafik. Sie zeigt ebenfalls, dass nach dem Führungstreffer weiter nach vorn gepresst wurde, erst nach Ausgleichstreffer verloren die Pfälzer ein wenig die Traute.

Durchschnittliche Aufstellungslinie Kiel-FCK

In der 3-4-1-2-Formation hielt die Elf endlich das Zentrum dicht, was ihr in vergangenen Partien nicht gelungen war. Das schmeckte insbesondere dem torgefährlichen Steven Skrzybski nicht, der diesmal, zumindest phasenweise, mehr Sturmspitze als Zehner war. Vor allem, wenn Jan Elvedi sich ihm auf die Füße stellte. Auch die übrigen Defensivkräfte der Gäste klebten hart am Mann, mit Ausnahme von Almamy Touré, der neben Elvedi und Boris Tomiak den rechten Innenverteidiger gab und als fußballernder Abwehrspieler einige Schwierigkeiten hatte, sich der vom Trainer verordneten Gangart anzupassen.

Kurzer Flashback zum KSC-Chaos, ansonsten Top-Spiel

Touré hatte dann auch Aktien im Ausgleichstreffer, den die Kieler nach 25 Minuten erzielten. Ihr Kapitän Philipp Sander schickte Stürmer Alexander Bernhardsson auf die Reise. Der kreuzte Tourés Laufweg und ließ Julian Krahl keine Chance. Ein langer Ball aus der eigenen Hälfte, geschlagen von der rechten Seite: Der weckte grässliche Erinnerungen an das 0:4 zuhause gegen Karlsruhe vor zwei Monaten. Erfreulicherweise aber blieb es der einzige Schreckmoment in dieser ersten Halbzeit.

Ansonsten lieferten sich das Kellerkind und der Aufstiegsaspirant ein "Duell auf Augenhöhe", wie verschiedene professionelle Spielbetrachter feststellten. Aber mal ehrlich: War das so überraschend? Es sollte doch eigentlich bekannt sein, dass dieser 1. FC Kaiserslautern durchaus ein "Top-Team" stellt - sofern man nur die ersten 45 Minuten betrachtet. Nach Halbzeitergebnissen waren sie nämlich Tabellenvierter, gleichauf mit Holstein.

Endlich Matchglück: Kaloc krönt die starke erste Hälfte

Insofern war die Halbzeitführung der Betze-Buben keine Überraschung. Dass sie quasi mit dem Pausenpfiff fiel, spielte ihnen natürlich erst recht in die Karten. Endlich war auch mal das Matchglück auf ihrer Seite.

Für das Zuckerl im Pausentee sorgte Filip Kaloc mit einem Hinterhaltsgeschoss. Erneut nach einer Puchacz-Ecke, wenn auch mit leichter Verzögerung. Die Kieler hatten den Ball bereits zum zweiten Mal aus dem Strafraum bugsiert, doch jedesmal kam er postwendend zurück. Denn die Pfälzer waren diesmal auch Spitze im Spiel auf die berühmten "zweiten Bälle".

Kaloc und sein Nebenmann Tobias Raschl waren nach dem starken Kieler Bernhardsson übrigens auch die beiden laufstärksten Spieler auf dem Platz. Und in diesem kompakten Mannschaftsauftritt, insbesondere vor der hoch aufrückenden, eng zusammen stehenden Abwehr-Dreierkette ließ sich auch kaschieren, dass keiner der beiden ein echter Sechser ist. So könnte nun auch die beste Lösung für die finalen drei Saisonspiele gefunden sein.

Kraft und Konzentration reichen diesmal auch für Hälfte zwei

Trotz dieses starken ersten Durchgangs blickte der mitfiebernde Anhang aber mit Sorgenmienen dem zweiten entgegen: Bekanntlich haben die Ihren in dieser Saison immer wieder zu Beginn gut geführte Partien gegen Ende jämmerlich vergeigt. Diesmal aber blieben Kraft und Konzentration bis zum Schlusspfiff erhalten. Dass der Tabellenführer bisweilen äußerst bedrohlich aufkam, lag daran, dass er eben nicht von ungefähr auf einem Aufstiegsplatz steht.

Und auch wenn die Lautrer Leistung keinesfalls geschmälert werden soll. Dass Holstein-Trainer Marcel Rapp zur Pause schon dreimal hatte wechseln müssen - Timo Becker, Skrzybski und Sander mussten angeschlagen raus -, kam den Gästen ebenfalls entgegen. Die Ausfälle nahmen dem Spiel der Gastgeber einiges an Präzision.

Julian Krahl staubt die Bestnote ab - zurecht

In der zweiten Hälfte schlug dann die Stunde von Julian Krahl, der gleich mit mehreren tollen Paraden den Kieler Ausgleich verhinderte. Wenngleich es diese meist mit Schüssen aus der zweiten Reihe versuchen mussten, weil sie sich im Sechzehner gegen Tomiak und Co. kaum durchzusetzen vermochten.

Es war fast schon herzzeißend, wie sich Krahl fast nach jeder Großtat nicht etwa feiern ließ, sondern seine Vorderleute mit geradezu zerquälter Miene anflehte, ihm doch auch mal ein wenig Arbeit abzunehmen. Nichts dokumentierte eindrücklicher, was die Partie für ihn und seine Mitspieler bedeutete: Sie wollten, sie brauchten diese Punkte, um nach dem deprimierenden 1:1 vor Wochenfrist gegen Wehen wieder die Weichen in eine bessere Zukunft zu stellen.

Krahl staubt in den heutigen Nachbetrachtungen inklusive der Einzelkritik auf Der Betze brennt völlig zurecht die Bestnoten ab. Drum wollen wir uns lieber noch einem widmen, der ebenfalls zu den stillen Strategen im Kader gerechnet werden darf: Ben Zolinski kam nach 64 Minuten für den angeschlagenen Capitano Jean Zimmer aufs Feld.

Zolinski kommt, der Mann für alle Fälle

Funkel hat den 31-Jährigen schon kurz nach seinem Amtsantritt wiederentdeckt, nachdem er zuvor in dieser Saison nur am ersten Spieltag mal für 18 Minuten zum Einsatz gekommen war. Der neue Coach nominierte ihn zur allgemeinen Überraschung gegen den KSC in der Startelf. Das Endergebnis war zwar fatal, doch der Allrounder hatte sich auf der linken Abwehrseite gut behauptet. Nun musste er unvermittelt rechts ran.

Okay, einmal ließ er Bernhardsson an sich vorbei, worauf dieser in den Strafraum passte und seinem Sturmpartner Shuto Machino eine der wenigen Kieler Einchussmöglichkeiten in der Box ermöglichte. Ansonsten präsentierte sich der gebürtige Berliner erneut tadellos. In der 83. Minute krönte er seinen Auftritt: Nach einem langen Flankenlauf schob der das Leder überlegt zu dem eingewechselten Marlon Ritter in den Strafraum, und der vollstreckte zum 3:1-Endstand.

Und mit einer Wühlaktion an der gegnerischen Torauslinie, mit der er wertvolle Sekunden von der Uhr nahm, demonstrierte Zolinski in der Nachspielzeit eindrücklich, dass bei ihm die Einstellung im Abstiegskampf stimmt. Vielleicht sollten Sportchef Thomas Hengen und seine Getreuen, aller bereits kursierenden "Streichlisten" zum Trotz, bei der Personalplanung für die kommenden Saison auch das mal bedenken: Ein Kader braucht nicht nur Kicker mit Skills, die sofort ins Auge stechen, sondern ebenso Typen wie Hanslik und Zolinski. Stille Strategen, die einfach da sind, wenn man sie braucht, und wissen, was in der aktuellen Situation jeweils verlangt ist.

Naturelle, die eigentlich auch Trainer Funkel zusagen müssten. Dass er sich nach diesem Auswärts-Coup nicht lautstark über die Schwarzmaler erhob, die den Verein nach dem schwachen Aufritt vor Wochenfrist bereits dem Untergang geweiht hatten, sondern lediglich kurz und trocken auf die nach wie vor angespannte Situation verwies, war ebenfalls wieder einmal typisch für ihn, den stillsten aller Strategen.

Kiel gewinnt bei xGoals? Nicht bei Wyscout

Zum Schluss wie immer noch ein bisschen was zum Angucken. Die von "Wyscout" erhobenen expected Goals weichen einmal mehr von denen ab, die auf Opta-Daten vertrauende Medien verbreiten. Denn die sehen Kiel mit 1,36 : 0,93 vorne. "Wyscouts" Software hat dagegen ein 1,99 : 1,25 zugunsten des FCK errechnet. Was wir in diesem Fall auch für realistischer halten. Denn Krahls Paraden in allen Ehren, aber die Kieler versuchten es sehr oft von außerhalb des Strafraums. Und von da gehen Bälle nunmal seltener rein, als der subjektive Betrachter vermutet.

xG-Timeline Kiel-FCK

Die Passmap des FCK: Ragnar Aches Spot (Nr. 9) wird von Ritters (7) nahezu vollkommen verdeckt. Das ist natürlich Zufall, aber doch irgendwie symbolisch. Der Torjäger tauchte insbesondere in der zweiten Hälfte als einziger Lautrer fast vollkommen ab, gewann kaum noch einen Zweikampf. Auch gegen Wehen zuletzt fand Ache nicht ins Spiel. Mit irgendwelchen Spekulationen zu seiner Person sollte man sich jedoch zurückhalten. Möglicherweise ist bei ihm lediglich die Batterie alle, nach einer für ihn anstrengenden Saison, in der er erstmals durchgehend als Stammkraft gefordert war und er sich wiederholt aus Verletzungspausen zurückarbeiten und fast durchgehend Blessuren übertünchen musste.

Passmap FCK

DIe Passmap der Gastgeber: 59 Prozent Ballbesitz? Die Visualisierung zeigt, wo die sich in erster Linie abspielten - in den ungefährlichen Zonen des Spielfelds.

Passmap Kiel

Die Duell-Übersicht: Für uns diesmal nicht so ganz nachvollziehbar. Nach unserer subjektiven Wahrnehmung kommt Touré ein wenig zu gut weg, Raschl und Kaloc dagegen stehen zu schlecht da. Schönen Gruß aber an alle Zimmer-Hater: Sehet her und staunet.

Zweikampf-Duelle Kiel-FCK

Zum Vergleich die Visualisierung der Zweikämpfe über 90 Minuten. Die erklärt den FCK-Sieg doch um einiges überzeugender als die Duell-Übersicht.

Quote gewonnener Zweikämpfe Kiel-FCK

Quelle: Der Betze brennt | Autor: Eric Scherer

Weitere Links zum Thema:

- Saison-Übersicht 2023/24: Die DBB-Analysen der FCK-Spieltage

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