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Gegner-Check SVWW: Gegen Minimalisten braucht's Mumm

Gegner-Check SVWW: Gegen Minimalisten braucht's Mumm


Der SV Wehen Wiesbaden trifft nicht oft, lässt aber auch nicht viel zu. Klingt nach einem Gegenstück zum 1. FC Kaiserslautern - und nach interessanten Vorzeichen für ein Aufeinandertreffen. Zumal die Pfälzer improvisieren müssen.

Anspruch und Wirklichkeit: Darf man das überhaupt, Wiesbaden und Elversberg miteinander vergleichen? Da könnte so mancher Lokalpatriot steilgehen: Wiesbaden ist immerhin Hessens Landeshauptstadt, Elversberg Ortsteil einer Kleinstadt im Saarland. Bei der Betrachtung der beiden professionellen Ballsportbetriebe in den Gemarkungen tun sich aber durchaus Parallelen auf. Die Fußballfreunde beider Regionen zieht es seit jeher eher in die Stadien der Nachbarschaft, beider Anhängerzahlen sind überschaubar, und nicht zuletzt deswegen sind der SV Wehen Wiesbaden und die SV Elversberg die einzigen Zweitligavereine, deren Zuschauerschnitt in dieser Saison die 10.000er-Marke noch nicht geknackt hat. Hinter beiden stehen mittelständische Unternehmen, die keine Abermillionen in ihre Klubs pumpen können, aber solide Grundlagen schaffen: hier Brita, da Ursapharm. Und beide nutzen den Vorteil, den Umfelder, die sich nur schwer erhitzen, eben auch bieten können: Mit Ruhe und Bedacht lässt sich da viel aus wenig machen. Trainer Rüdiger Rehm durfte sich drei Jahre Zeit nehmen, bis er mit Wiesbaden 2019 den zweiten Aufstieg in die Zweite Liga nach 2007 klarmachte. Markus Kauczinski durfte zwei Jahre lang an einem Team basteln, das stark genug war, in die nächsthöhere Klasse zu klettern. Im Gegensatz zu seinem Elversberger Kollegen Horst Steffen gilt Kauczinski allerdings weder als Verfechter attraktiven Fußballs noch als akribischer Taktiktüftler noch als "Menschenfänger", sondern einfach nur als unaufgeregt arbeitender und urteilender Übungsleiter mit sicherem Gespür dafür, was seine Jungs können und was nicht. Der übrigens vor einigen Jahren auch schon mehrmals ernsthaft als FCK-Trainer im Gespräch gewesen sein soll. Auch in dieser Spielzeit läuft es fürs SVWW-Team und seinen Coach erstaunlich gut. Platz 8 aktuell, damit bester Aufsteiger bislang, zuletzt drei Siege in Folge. Und das, obwohl der Aderlass im Sommer gewaltig war. Die Top-Talente Benedict Hollerbach und Brooklyn Ezeh gingen, dazu mit Ahmet Gürleyen und Johannes Wurtz Korsettstangen der Aufstiegsteams, die beiden Letztgenannten sogar ablösefrei. Beim 3:1-Sieg in Düsseldorf zuletzt zeigten die Wiesbadener laut ihrem Trainer ihre beste Saisonleistung.

Die Neuen: Die Sommer-Transferperiode des SVWW belegt, was mit "Viel-aus-wenig-Machen" gemeint ist. Die durchweg ablösefreien Transfers haben bisher nicht nur die Abgänge gut kompensiert, sondern sogar Teile des Aufstiegsteams aus der Startelf verdrängt. Das allseits hochbewertete Kriterium "Liga-Erfahrung" spielt für den Sportlichen Leiter Paul Fernie dabei anscheinend keine große Rolle. Die aktuelle Dreier-Abwehrkette etwa besteht durchweg aus Neuen von außerhalb: Marcus Mathisen, Aleksandar Vukotic und Martin Angha. Der Norweger kam aus Schweden, der Serbe aus Belgien und der Schweizer hing vereinslos auf dem Spielermarkt herum. Weiter vorne ist der Südkoreaner Hyun-ju Lee aus dem Nachwuchsstall der Bayern mittlerweile gut in Tritt gekommen. Nick Bätzner, ein Deutscher, der zuletzt im belgischen Oostende kickte, hat sich in vergangenen Wochen ebenfalls einen Platz in der Startelf gesichert, genau wie Amar Catic, ein Bosnier, der aus den Niederlanden kam. Dagegen haben die, denen der Sprung eher zuzutrauen gewesen wäre, weil sie von zum Teil höherklassigen deutschen Klubs kamen, noch nicht geglänzt: Der Ex-Darmstädter Keanan Bennetts fiel bislang verletzt aus, Lasse Günther vom FC Augsburg kam fast nur als Einwechselspieler zum Zug. Der Ex-Lautrer Antonio Jonjic, zuvor in Aue aktiv, verzeichnet erst einen Startelf-Einsatz.

Die Formation: Kauczinski bevorzugt ein 3-4-2-1, in dem aber permanent leichte Anpassungen oder Verschiebungen möglich sind. Zuletzt etwa durfte der zentrale Mittelfeldspieler Robin Heußer sich weiter nach vorne schieben, weswegen die Halbstürmer Lee und Bätzner stärker auf die Flügel auswichen. Hinter der genannten Dreierkette versieht Keeper Florian Stritzel in seinem nunmehr dritten Jahr beim SVWW seinen Dienst. Der rechte Schienenspieler Thijmen Goppel verzeichnet bereits drei Torvorlagen, auf der linken Seite ist seit drei Wochen Catic gesetzt. Im defensiven Mittelfeld wird der Ex-FCK'ler Gino Fechner am Sonntag fehlen, er hat in Düsseldorf seine fünfte Gelbe Karte kassiert. Für ihn könnte Bjarke Jacobsen, in der Aufstiegssaison noch Stammkraft, von Beginn an ran. Bei den jüngsten drei Siegen in Serie begann vorne stets der Australier John Iredale. Torgefährlicher ist aber der Kroate Ivan Prtajin, der schon drei Mal getroffen hat und als starker Kopfballspieler gilt. Auch der Kanadier Kianz Froese kommt seit einigen Wochen ebenfalls nur noch von der Bank, ebenso der in Lautern noch gut bekannte Sascha Mockenhaupt - der einzige im Kader, der im Sommer seinen zweiten Aufstieg mit dem SVWW feiern durfte.

Zahlenspiele: Ein Torverhältnis von 13:12 weist die Wiesbadener als die Minimalisten der Liga aus. Nur drei Mannschaften haben weniger Tore erzielt, aber nur eine - Spitzenreiter St. Pauli - hat weniger kassiert. Ansonsten ist es schwer, den bislang starken Auftritt des Aufsteigers mit Zahlen zu erklären. In den "Kicker"-Ranglisten findet sich kein Wiesbadener unter den Top-Scorern, auch keiner unter den Notenbesten. Passquote? Laufstärke? Ballbesitz? Kopfballduelle? In allen Statistiken belegen sie bestenfalls Mittelfeldplätze. Immerhin: Goppel schlägt nach dem Berliner Fabian Reese die meisten Flanken aus dem Spiel heraus, mit Heußer behauptet ein Mittelfeldspieler Platz 3 im Ranking der gewonnenen Zweikämpfe. Ebenfalls zu beachten: Fünf seiner 13 Treffer hat der SVWW nach Freistößen oder Eckbällen erzielt, einen weiteren bei der ehrenwerten 2:3-Pokalniederlage gegen Rasenballsport Leipzig. Besonders effektvoll: Heußers direkt verwandelter Freistoß beim 2:0-Sieg gegen Osnabrück.

Fazit: Wie schon in den Wochen zuvor erfolgt an dieser Stelle der Hinweis, dass der FCK vor dieser Partie erst einmal die Fragen beantworten muss, die sich in seinen eigenen Reihen stellen. Diesmal aber sind diese so drängend wie selten. Wenn, wie zu befürchten ist, neben dem rotgesperrten Boris Tomiak auch der gegen Fürth mit einer Gehirnerschütterung ausgeschiedene Kevin Kraus ersetzt werden muss, fehlt es Dirk Schuster an Personal, um eine Dreier-Abwehrreihe hinter einem defensiv orientierten Sechser zu nominieren. Jan Elvedi, Nikola Soldo, Julian Niehues - und wer noch? Marlon Ritter wieder mal von Anfang an auf die Sechs ziehen, wäre eine Möglichkeit, aber würde das Sinn machen neben dem ungefähr baugleichen Tobias Raschl? Eine Kreativlösung mit dem robusten und laufstarken Daniel Hanslik, dem auch so eine für ihn ungewohnte Rolle zuzutrauen wäre? Schon eher. Wahrscheinlicher ist jedoch eine Rückkehr zur Viererkette. So unterschiedlich sich die Treffer/Gegentreffer-Bilanzen beider Teams bislang darstellen, ihren Spielanlagen ähneln sich dennoch. Auch die Wiesbadener werden den tiefen Pass über die Flügel suchen, die Schienenspieler weit aufrücken, und der Puchacz Wiesbadens heißt Goppel, kommt aber von der rechten Seite. Dass gerade gegen diesen Gegner höchste Konzentration angesagt ist, sollte eigentlich nicht der Rede wert sein, muss aber gerade gegen solche Minimalisten betont werden: Das erste Tor kann bereits entscheiden, und das könnte auf einen ruhenden Ball erfolgen, den die Roten Teufel schließlich ebenfalls ganz gut beherrschen. Aufgeben wäre für die einstigen "Comebacker der Liga" allerdings auch nach einem Rückstand nicht angezeigt:. Mit Paderborn und Nürnberg haben es bereits zwei Teams geschafft, eine 1:0-Führung des SVWW in einen 2:1-Sieg zu drehen.

Quelle: Der Betze brennt

Weitere Links zum Thema:

- Sonntag, 13:30 Uhr: Mit Fragezeichen nach Wiesbaden (Der Betze brennt)

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