Neues vom Betzenberg

Die Pfalz bangt

Durch die Fußgängerzone geht langsam ein kleiner, alter Mann. Er hat einen schlohweißen Schopf und trägt einen hellen Freizeitblouson, wie ihn alte Männer tragen. Im Vorbeigehen hebt er den kantigen Kopf und schaut aus großen, klaren Augen auf: Es ist Ottmar Walter, tatsächlich.

Ottmar Walter ist ein Held, einer, der das Wunder von Bern mit erschaffen hat; der kleine, 84 Jahre alte Mann ist der größte lebende Mensch der Stadt Kaiserslautern, aber man kann ihn zufällig in der Fußgängerzone treffen. Oben auf dem Betzenberg, im Stadion, das den Namen seines Bruders Fritz trägt, haben sie ein Eingangstor nach ihm benannt. Als Ottmar Walter noch für den 1. FC Kaiserslautern Tore schoss, dominierten die Pfälzer den deutschen Fußball wie heute die Bayern. Das ist jetzt ein halbes Jahrhundert her, aber der Verein betont die eigene Geschichte wie kein zweiter Klub in diesen Tagen. Sie wiegt umso mehr, als die sportliche und wirtschaftliche Gegenwart miserabel ist. Am Sonntag, am letzen Zweitligaspieltag, kann es passieren, dass die Demütigungen der vergangenen Jahre ihren Höhepunkt erreichen, dass der FCK in die Drittklassigkeit fällt.

Man kann sich Rheinland-Pfalz so vorstellen: Mainz ist der Kopf, Ludwigshafen die Lunge und Kaiserslautern das Herz. Nein, nicht Kaiserslautern, sondern der FCK; der Verein ist viel größer als die Stadt, er ist der Kitt der Pfälzer. Die wurden nach dem Zweiten Weltkrieg mit den südlichen Rheinländern zum Gebilde Rheinland-Pfalz zusammengelegt und haben sich ihre Distanz zur Hauptstadt Mainz bewahrt. Die dortige Landesregierung hat zudem, so sehen das jedenfalls die Fans, den Lauterern der WM 2006 wegen das überdimensionierte Stadion für 48 000 Zuschauer aufgeschwatzt, dessen hohe Kosten den Etat des Klubs einschnüren. Und zu allem Übel stellen die Mainzer in letzter Zeit auch noch den erfolgreicheren Fußballklub.

Das Bundesland ist nicht groß, es macht wenig Schlagzeilen. Helmut Kohl ist Pfälzer und Kurt Beck; die Folklore zu Kohl heißt Saumagen und die zu Beck Lautern. Kohl hat es mit Fußball nicht so gehabt, aber Beck, seit 1994 Ministerpräsident, ist häufig im Fritz-Walter-Stadion zu sehen. Beck wohnt in Steinfeld in der Südpfalz, weit weg vom Regierungssitz, weit weg vom Stadion. Die wenigsten Lauterer Fans kommen aus Kaiserslautern, das mit seinen 98 000 Einwohnern selbst in der Zweiten Liga zu den kleinsten Städten gehört und von einer strukturschwachen Region umgeben ist. Kein anderer Profiklub steht so für eine Region wie der FCK für die Pfalz, ja - aus langjährigem Mangel an Konkurrenz - für ein ganzes Bundesland.

Die meisten der bald 500 Fanklubs sitzen in Orten wie Bleialf oder Billigheim, Kruchten oder Spirkelbach, Nickenich oder Bruttich-Fankel. Oder Hatzenbühl. Dort ist jeder siebte der 2800 Dörfler Mitglied im Fanklub, hier lebt Alfred Wünstel, Sprecher des FCK-Fanbeirats. Von Hatzenbühl braucht man eineinhalb Stunden bis zum Betzenberg; ins badische Karlsruhe, zum Fußball-Bundesligisten Karlsruher SC, ist es dagegen nur einen Katzensprung über den Rhein. Aber wie sagt doch Wünstel über frühe Grundorientierungen: "Man wird als Pfälzer geboren und ist Lautern-Fan." Wünstel, Dauerkartenbesitzer seit 30 Jahren, und seine Frau Jutta fahren zu jedem Heimspiel und, wenn es sein Beruf als Abteilungsleiter im Wasserzweckverband Germersheim zulässt, zu jedem Auswärtsspiel. "Die Freizeit ist der FCK", sagt Wünstel, Urlaub inklusive, der für die Wünstels ein touristisch verlängertes Auswärtsspiel - in den besseren Jahren auch im Europapokal - oder ein Trainingslager der Mannschaft im In- oder Ausland heißen kann.

Wünstel hat sein 55 Jahre währendes Leben weitgehend in Hatzenbühl verbracht. Die ersten FCK-Spiele hat er gesehen, da war er 16. Da ist er mit Freunden die 110 Kilometer von Hatzenbühl nach Kaiserslautern durch den Pfälzer Wald mit dem Moped gefahren, wenn sie genug Geld für die drei Liter Sprit hatten, die der Hobel für Hin- und Rückfahrt brauchte.

Thomas Hilmes hat es etwa genauso weit. Er wohnt in dem Moselort Piesport. Hilmes sieht sich "als Lauterer und als Rheinland-Pfälzer". Der Diplom-Informatiker gehört zu der überörtlichen Fan-Avantgarde, die sich "Generation Luzifer" nennt, und betreibt die Web-Site "Der Betze brennt". Hilmes steht in der Westkurve, Wünstel sitzt auf der Haupt-, der Nordtribüne. Mit seinen 27 Jahren ist Hilmes halb so alt wie Wünstel und hat sich seine erste Dauerkarte im Alter von 16 Jahren zusammengespart. Man könnte meinen, Hilmes sei der moderne Fan und Wünstel der den alten Zeiten nachtrauernde. Aber so einfach ist es nicht. Bei unserem Treffen trägt Hilmes das T-Shirt mit dem Aufdruck "Traditionsverein".

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Quelle und kompletter Text: Frankfurter Rundschau

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